|
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
Bedeutungskonkurrenz im Kampf um Wörter und Symbole Judith Arnold, Zürich, den 11.03.2007
Politischen Akteure nehmen Symbole und Begriffe wie 'Solidarität' oder 'Freiheit' für sich in Anspruch. Diese haben eine positive Bewertung und werden "Hochwertwörter" genannt. Und da sich politische Akteure solche Hochwertwörter auf die Fahne schreiben, nennt man sie auch "Fahnenwörter". Allerdings versuchen die politischen Gegner diese Fahnenwörter hin und wieder für sich zu gewinnen oder sie werten die Fahnenwörter des politischen Gegners zu "Stigmawörtern" um. Ein und dieselben Begriffe können - je nach dem, wer sie verwendet - eine positive oder negative Wertung aufweisen. Diese Bedeutungskonkurrenz zeigt sich nicht nur in den Begriffen, sondern auch in der Symbolik (zu Fahnen- und Stigmawörtern vgl. Panagl 1998: 13–21; zu ihrer Bezeichnungs-, Bedeutungs- und Bewertungskonkurrenz vgl. Klein 1998: 11–28; 1991: 50–69; vgl. auch das "Ideologievokabular" und den "Kampf um Wörter" bei Girnth 2002: 50–69).
Rot gilt seit dem späten 19. Jahrhundert als Erkennungsfarbe des Sozialismus. Es wird von linker Seite als Symbol eingesetzt, um sich zum Sozialismus zu bekennen und die eigene Zielgruppe zu erreichen. Auf gegnerischen Plakaten wird die Farbe Rot eingesetzt, um den politischen Gegner zu bezeichnen und - wie auf dem Plakat unten rechts - zu stigmatisieren. Farben (wie auch andere Aspekte bildlicher Symbole) können also ähnlich wie politische Begriffe sowohl als "Fahnen" wie auch als Stigmata eingesetzt werden. Auf dem linken Plakat ist die rote Hose des Proletariers ein Bekenntnis zum Sozialismus und positiv konnotiert. Auf dem Plakat rechts wird die proletarische Arbeiterbewegung metaphorisch als rote Ratten dargestellt, die an den Grundfesten der Schweiz nagen (zur Ratte als Metapher der aufkommenden Arbeiterbewegung vgl. Rigotti 1994: 153ff.; zur Armee und zum nationalen Zusammenhalt in der Zwischenkriegszeit vgl. Stämpfli 2003: 47ff.)
Ein und derselbe Begriff kann je nachdem, wer ihn verwendet, eine positive oder negative Wertung aufweisen. So sind die Begriffe 'sozialistisch', 'kommunistisch', 'marxistisch' etc. vom linken politischen Lager positiv konnotiert und vom bürgerlichen und konservativen politischen Lager negativ besetzt. Die Plakate unten verwenden die Begriffe 'sozialistisch' und 'marxistisch' mit einer negativen Bewertung und geben damit ein Beispiel für "Begriffskonkurrenz". Gleichzeitig suggerieren diese Plakate implizit das pragmatische Argument, dass politische Vorlagen dieser Quelle nicht gut sein können und daher abzulehnen seien. Bestärkt wird diese implizite Argumentation jeweils durch das Bild, das einen (abzuwendenden) Schaden zeigt.
Positiv besetzte Symbole und Begriffe, die von einer politischen Gruppe als "Fahnen" eingesetzt werden, können vom politischen Gegner "gekapert" werden, um die Zielgruppe abzuwerben. Die Plakate unten wurden zu einer Vorlage gestaltet, welche die zuvor verkürzten Arbeitszeiten wieder verlängern wollte. Um den Arbeitern diesen Rückschritt als Fortschritt zu vermarkten, bediente sich das bürgerliche Lager dem sozialistischen Idealbild des Arbeiters.
Das gleiche Phänomen zeigt sich in den Plakaten unten: Der "kleine Schweizer", der regelmässig von bürgerlicher und konservativer Seite ins Feld geführt wird (vgl. Plakat unten links), wurde im Abstimmungskampf gegen die dritte Überfremdungsinitiative von linker Seite übernommen und karikiert.
Literatur: Degen, Bernhard (2006): Kleine politische Farbenlehre der Schweiz. In: UniPress 131/2006, Bern, S. 18-19. Girnth, Heiko (2002): Sprache und Sprachverwendung in der Politik. Eine Einführung in die linguistische Analyse öffentlich-politischer Kommunikation. Tübingen. Klein, Josef (1998): Politische Kommunikation als Sprachstrategie. In: Jarren, Otfried/ Sarcinelli, Ulrich/ Saxer, Ulrich (Hrsg.) (1998): Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. Opladen, S. 376–395. Klein, Josef (1991): Politische Textsorten. In: Brinker, Klaus (Hrsg.): Aspekte der Textlinguistik. Hildesheim, S. 245–278. Meylan, Jean/ Maillard, Philippe/ Schenk, Michèle (1979): Bürger zu den Urnen. 75 Jahre eidgenössische Abstimmungen im Spiegel des Plakats. Lausanne. Panagl, Oswald (1998): "Fahnenwörter", Leitvokabeln, Kampfbegriffe: Versuch einer terminologischen Klärung. In: Ders. (Hrsg.): Fahnenwörter der Politik – Kontinuitäten und Brüche. (= Studien zu Politik und Verwaltung, Bd. 59), Wien. Rigotti, Francesca (1994): Die Macht und ihre Metaphern. Über die sprachlichen Bilder der Politik. Frankfurt a.M./New York. Stämpfli, Regula (2003): Vom Stummbürger zum Stimmbürger. Das Abc der Schweizer Politik. Zürich. Stirnimann, Charles/ Thalmann, Rolf (2001): Weltformat – Basler Zeitgeschichte im Plakat. (Ausstellung, Historisches Museum Basel, 20.01. bis 16.04.2001), Basel.
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
Hauptseite Impressum |