Das Abstimmungsplakat als Textsorte

Kontext und Merkmale eidgenössischer Abstimmungsplakate

Judith Arnold, Zürich, den 18.02.2007*

 

Politische Plakate werden von autoritären Regierungen, politischen Parteien und anderen Interessengruppen hergestellt und verbreitet, um die Massen ihren Vorstellungen gemäss zu beeinflussen. Die Intention politischer Plakate ist es laut dem historischen Wörterbuch der Rhetorik, "für politische Ideen und Konzepte und/oder um Vertrauen für einzelne Persönlichkeiten zu werben, die für öffentliche Ämter kandidieren." (HWR: 1231f.) Im Hinblick auf das Abstimmungsplakat wäre zu ergänzen, dass es für oder gegen politische Lösungen wirbt, die im Abstimmungsverfahren vom Stimmvolk angenommen oder verworfen werden können.

Als politische Plakate nennt Kamps (1999: 66) u.a. Parteienplakate, Wahlplakate, allgemeine Staatspropaganda-Plakate, Kriegsplakate, Personenkultplakate, sozial engagierte Plakate mit politischen Themen, Protestplakate und Satireplakate politischen Inhalts. Diese Aufstellung kann nicht befriedigen, zumal eine Klassifikation politischer Plakate systematisch zu erfolgen hätte. Im Alltag bereitet es selten Mühe, Plakate ausgehend von einem angelernten "Textsortenwissen" zu erkennen. In der Wissenschaft reicht dieses intuitive Vorgehen nicht aus. Vielmehr müssen die Unterscheidungskriterien klar definiert werden und überprüfbar sein. Im Folgenden wird daher das Abstimmungsplakat in seinem historischen und politischen Kontext beschrieben und in Abgrenzung zu anderen Medien als Textsorte bestimmt.

 

1 Historischer Kontext des Plakats

Aushänge von Gesetzestexten und behördlichen Bekanntmachungen als Frühformen des Plakats lassen sich gemäss dem Historischen Wörterbuch der Rhetorik bereits in der Antike nachweisen (vgl. HWR S. 1232). Gemäss Hans-Urs Wili haben neuere Forschungen von Schriftüberlieferungen gezeigt, dass erste Zeugnisse von Plakaten bzw. plakatähnliche Verschriftungen weit vor die Antike zurückreichen, so etwa der Codex Hammurapi 1729 v. Chr. und ähnliche Königsschriften im Zweistromland bei den Akkadern, Assyrern, Ägyptern oder in Ugarit; auch frühaltgriechische Tempelinschriften auf Stelen oder Säulen hatten stark plakative Funktionen (vgl. Wili 1995: 139ff., Wili 2000: 12, 16f., 18). Artinger (2000: 18) schreibt in seiner Geschichte des Plakats, dass an öffentlichen Plätzen des alten Roms Gesetzestexte auf weissen Holztafeln angebracht und daher albae genannt wurden. Gemäss Zeller (1988: 1) haben sich in Pompeji sogar Wahlwerbungen an den Wänden erhalten. Nach Rotzler (1990: 8) lässt sich das Wort "Plakat" bis zum mittelhochdeutschen "placke" (Fleck, Gegend) zurückverfolgen, das im Französischen als "plaque" (Platte, Täfelchen) aufgenommen wurde und sich zum modernen "placard" gewandelt hat. Laut dem Historischen Wörterbuch der Rhetorik ist "Plakat" etymologisch abgeleitet aus niederländisch "plakaat" bzw. französisch "placard" und ist seit dem 16. Jh. im niederdeutschen Sprachraum zur Bezeichnung von öffentlichen Anschlägen gebräuchlich (vgl. HWR S. 1230; Duden 2001: 611). Artinger (2000) verortet den Ursprung ebenfalls in den Niederlanden, wo das Plakat angeblich im 16. Jahrhundert im Befreiungskampf gegen Spanien eingesetzt wurde: "Antispanische Flugblätter, Pamphlete und Einblattdrucke wurden von den Holländern mit Klebstoff an Häuserwände und Mauern 'geplackt'. Solche 'angeplackten' Bögen hiessen 'Plakatten' " (S. 18f.; vgl. auch Kamps 1999: 6; zur niederländischen Bürgerbewegung vgl. auch Imhof 2006: 142). Rotzler (1990: 8) wiederum nennt den Satiriker Johannes Fischart als Quelle, der "Plakat" 1578 erstmals in der Bedeutung eines obrigkeitlichen Anschlags benutzt haben soll.

Was wir heute unter einem Plakat verstehen, muss in Abgrenzung zu seinen historischen Vorläufern noch weiter präzisiert werden: Nimmt man das Papier als unabdingbaren Träger des Plakats an und lässt feste Untergründe wie Holz oder Wände unberücksichtigt, so ist das Medium an die Verfügbarkeit von Papier gebunden (vgl. Kamps 1999: 6). Wohl deshalb betrachtet Rotzler (1990: 8) den Thesenanschlag Luthers 1517 am Tor der Schlosskirche von Wittenberg als einen Vorläufer des Plakats. Will man darüber hinaus den Druck als ein mit dem Plakat untrennbares Verfahren betrachten, so ist auch die Erfindung dieser Herstellungstechnik mitentscheidend für die Festlegung der Entstehungszeit. So bilden die Erfindung des Buchdrucks in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und der Lithographie um 1796/98 die notwendigen Prämissen eines Mediums, das auf serielle Herstellung und massenweise Verbreitung angelegt ist (vgl. Kamps 1999: 6; auch Rotzler 1990: 9ff.; HWR S. 1233). Die technisch-logistischen Rahmenbedingungen für das moderne Plakatwesen sind schliesslich institutionalisierte Vertriebswege und Vorrichtungen zum Aushang im öffentlichen Raum (vgl. Kamps 1999: 6). Erster Plakatanschlagunternehmer in Deutschland war Ernst Litfass, der nach dem Vorbild in London 1855 die erste Plakatsäule in Berlin aufstellte (vgl. HWR S. 1233; Kamps 1999: 23; Faulstich 2002: 51). Die Voraussetzung für das Plakatwesen in der Schweiz war eine Vereinheitlichung des Formats und die Logistik von Vertrieb und Standort durch die "Allgemeine Plakatgesellschaft" (APG) (vgl. Rotzler 1990: 18).

Die Entwicklung des Plakats ist aber nicht nur eine Technikgeschichte, sondern auch eine Geschichte des soziokulturellen Wandels. Entstanden ist das Plakat als obrigkeitlicher Anschlag in der Antike und hat sich im Verlauf der Geschichte zum Medium der Werbung, Kultur und Politik gewandelt. So wurde aus dem Verlautbarungsmedium der Obrigkeit immer mehr ein Träger der politisch Andersdenkenden, angefangen mit der Reformation ab 1517 über die Französische Revolution 1789 bis hin zur Revolution 1848, die die Ausgangslage bildete für die Schweizer Bundesverfassung. Gesellschaftliche Vorbedingung des politischen Plakats ist also die wachsende Mobilität einer bürgerlichen Gesellschaft seit der frühen Neuzeit, die neuen Handelsformen, die Entstehung eines öffentlichen Raums in Abgrenzung zur Privatsphäre und die zunehmende Bedeutung der Schriftlichkeit (vgl. HWR S. 1233). Nach Imhof (1993: 26) wird in der Aufklärung das bürgerliche Selbstverständnis über die Rezeption der klassisch-griechischen Darstellung der republikanischen Öffentlichkeit auf der 'agora' gestärkt: "Aristoteles definierte das politische Handeln als herrschaftsfreies Raisonnement aller Bürger, die zu diesem Zweck aus ihrer Privatheit heraustreten. Nur indem die Bürger frei miteinander kommunizieren, kommt ihnen nach Aristoteles der 'logos' – oder eben: die Vernunft – zu" (Imhof 1993: 26; Hervorheb. i.O.). Für die Entstehung des politischen Plakats ist also "die Einbeziehung grösserer Volksmassen in den Prozess der politischen Entscheidungsfindung konstitutiv" (HWR S. 1233; vgl. auch Zeller 1988: 16). Haben anfänglich noch Anschläge von Behörden dominiert, die den Herold in seiner Funktion der mündlichen Verkündung allmählich ablösten, so entfaltet das politische Plakat erst mit den zunehmenden Artikulationsmöglichkeiten der Bürger sein typisch agitatorisches Gepräge (zum Plakat als Verlautbarungsmedium der Obrigkeit und als Kampfmedium der politischen Opposition vgl. Zeller 1988: 13; Faulstich 1998: 254f.). Die Meinungsäusserungsfreiheit wurde nicht zuletzt mit den neuen Druckmedien erstritten: "Nicht 'die Öffentlichkeit' hat sich gewandelt und dabei neue Medien generiert, sondern umgekehrt hat erst der Medienwandel den Strukturwandel des Öffentlichen ermöglicht, den gesellschaftlichen Wandel zur Herrschaft des Bürgertums getragen" (Faulstich 2002: 255). Dabei ist noch ungeklärt, inwiefern das Plakat und die Zeitung in den Flugschriften und Flugblättern einen gemeinsamen Vorläufer haben (zur Flugschrift vgl. die Dissertation von Weigel 1979; auch Zeller 1988: 12f.; Faulstich 2002: 55, 166–176; Faulstich 1998: 117–126, 152–165; Stöber 2000: 32–46; Rotzler et al. 1990: 9ff.). Von grösster Bedeutung für die Entwicklung des politischen Plakats wie auch für die modernen Formen direkter Demokratie ist die Französische Revolution 1789 (vgl. Zeller 1988: 16; Faulstich 1998: 55, 171; HWR S. 1233; Linder 1999: 235). "Das Plakat als politische Meinungsäusserung von unten erlebte mit der Propaganda zur Französischen Revolution einen grossen Aufschwung; eine wahre 'Plakatflut' war die Folge" (Faulstich 2002: 55, auch 171). Zudem betrachten Meylan, Maillard und Schenk (1979: 13) die Bundesverfassung von 1848 mit der darin garantierten Handels- und Gewerbefreiheit als Voraussetzung für die Entwicklung und Verbreitung des Plakats in der Schweiz.

 

2 Politischer Kontext des Abstimmungsplakats

Für die Entwicklung des Abstimmungsplakats ist ferner der politische Kontext entscheidend, insbesondere die direkt-demokratischen Elemente der Schweizerischen Eidgenossenschaft: Zu erwähnen sind das obligatorische (oder Verfassungs-)Referendum, das fakultative Referendum und die Volksinitiative. Obligatorisch ist ein Referendum immer dann, wenn Verfassungsänderungen oder dringliche Bundesbeschlüsse ohne Verfassungsgrundlage nach Ablauf eines Jahres anstehen. Fakultativ sind Referenden im Falle von Bundesgesetzen, wenn es sich um allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse, um dringliche Bundesbeschlüsse mit verfassungsmässiger Grundlage oder um langfristige Staatsverträge handelt. Volksinitiativen schliesslich ermöglichen dem Volk, die Ausarbeitung, Änderung oder Aufhebung einer Verfassungsbestimmung zu verlangen. Für ein fakultatives Referendum braucht es 50'000 Unterschriften oder die Unterstützung von acht Kantonen, für eine Volksinitiative 100'000 Unterschriften (vgl. Linder 1999: 243–278; Meylan/Maillard/Schenk 1979: 7; Erne 2002: 78–83). Grundlage der Volksabstimmungen in der Schweiz bildet die Bundesverfassung von 1848, die das obligatorische Verfassungsreferendum sowie die Verfassungsinitiative für Totalrevisionen vorsieht. Erst 1874 wurde das Gesetzesreferendum und 1891 die Volksinitiative für Teilrevisionen eingeführt (vgl. Linder 1999: 235). Seither wird das Plakat unter anderen Medien von politischen Akteuren eingesetzt, um das Stimmvolk vom Pro oder Contra einer Vorlage zu überzeugen und zur Abstimmung zu mobilisieren (vgl. Meylan/Maillard/Schenk 1979; Rotzler 1990; Thalmann 2001).

Eine mobilisierende Wirkung hat das Abstimmungsplakat allerdings nur unter dem Einfluss von kontroversen Abstimmungskämpfen, wie eine quantitative Vorstudie ergeben hat (vgl. Arnold 2005: 56ff.). So ist der Zusammenhang zwischen der Höhe der Stimmbeteiligung und der Anzahl Plakate (0.248), der Anzahl Contra-Plakate (0.186) und der Anzahl kontroverse Kampagnen (0.232) signifikant. Ausschliessliche Pro-Kampagnen können hingegen kaum mobilisieren, da sie vor allem bei Volksinitiativen geschaltet werden, die mehrheitlich Minderheitenanliegen vertreten und wenig Aussicht auf Erfolg haben (vgl. ebd. S. 58). Das zeigen auch Berechnungen nach den Erfolgschancen: Weder führen starke Contra-Kampagnen mehrheitlich zu einer Ablehnung, noch führen Pro-Kampagnen zu einer vermehrten Annahme. Im Gegenteil hat die Vorstudie gezeigt, dass Plakatkampagnen ein Indikator für Kontroversen sind. Denn unabhängig, ob mehrheitlich befürwortende oder ablehnende Plakate vorhanden sind, deuten Plakatkampagnen auf eine umstrittene Abstimmung mit mehrheitlich negativem Ausgang hin (63.8% abgelehnte Vorlagen mit Plakatkampagnen gegenüber 51.6% abgelehnte Vorlagen insgesamt) (vgl. Arnold 2005: 61f.; Arnold 2007a: 15). Allerdings ist nach Kategorie der Abstimmungsvorlage zu unterscheiden: Denn während die ohnehin schlechten Erfolgschancen (1:9) von Volksinitiativen unter dem Einfluss von Gegenkampagnen noch mehr schwinden (1:19), werden Vorlagen im obligatorischen Referendumsverfahren nur noch knapp angenommen (56.3% gegenüber 77.7% ihrer Annahmen insgesamt) und die Gegenentwürfe verlieren sogar ihre Aussicht auf Erfolg (37.5% gegenüber 65.4% ihrer Annahmen insgesamt) (vgl. Arnold 2005: 61ff.; Arnold 2007a: 16). Was die Pro- und Contra-Positionen der Abstimmungsplakate betrifft, so werden vor allem die Vorlagen im fakultativen Referendumsverfahren mit ablehnenden Plakaten bekämpft (47% aller Contra-Plakate) und die Volksinitiativen mit befürwortenden Plakaten beworben (54% aller Pro-Plakate) (vgl. Arnold 2007a: 14f.). Das Abstimmungsplakat ist damit vornehmlich das Medium der opponierenden Minderheit, die entweder per Initiative ein neues Thema in den politischen Prozess einbringen will oder über das fakultative Referendum gegen geplante Gesetzesänderungen Widerstand bietet. Das geht auch aus dem Impressum hervor: Während sich liberale und Mitteparteien sowie die wirtschaftsnahen Akteure nur marginal in Abstimmungskämpfen exponieren, treten vor allem die linken Parteien offensiv auf und sind zu 40.6% namentlich erwähnt (vgl. Arnold 2005: 66; Arnold 2007a: 18). Je nach Politikfeld sind auch die Grünen (GP, 3.8%), der Landesring der Unabhängigen (LdU, 3.8%) und die Nationale Aktion (NA, 2.1%) namentlich auf den Plakaten genannt. Auch daran zeigt sich, dass das Abstimmungsplakat einen kämpferischen Charakter hat und vornehmlich das Medium der opponierenden Minderheit ist. Ob es sich auch nach 1990 noch so verhält, ist eine inter­essante Forschungsfrage, zumal die SVP als "stärkste Partei der Schweiz" sich gleichzeitig als Oppositionspartei gebärdet und vom Plakat als Kampfmittel gezielt Gebrauch macht.

Abschliessend ist zu bemerken, dass das Plakat nur ein Medium unter anderen im Media-Mix des Abstimmungskampfes darstellt. Entsprechend sind die Plakate nur als Repräsentanten von Kampagnen zu verstehen, und die Zusammenhänge zwischen dem Stimmverhalten und den Abstimmungsplakaten müssen als Tendenzen gelesen werden. Auch hat sich die Medienlandschaft seit der Einführung des Schweizer Wahl- und Stimmrechts erheblich verändert (vgl. Blum 1996: 15), was mit einer Bedeutungsverschiebung der einzelnen Medien einherging. Dennoch ist die Relevanz des Plakats im historischen Verlauf nicht zu unterschätzen. Denn im Gegensatz zu Radio, Fernsehen und Internet gibt es das Abstimmungsplakat so lange wie die politischen Bürgerrechte. Und seine Erforschung könnte daher Aufschluss geben über Kontinuität und Wandel der schweizerischen Polit-Kultur (zur Abstimmungskommunikation als Indikator des sozialen Wandels vgl. Imhof/Ettinger 2000).

 

3 Bestimmung des Abstimmungsplakats als Textsorte

Mit dem politischen System und der Funktion des Abstimmungsplakats wurden bereits zentrale Merkmale genannt, um das Abstimmungsplakat als Textsorte zu klassifizieren. Textsorten bezeichnen ganz allgemein "Gruppen von Texten, die sich durch bestimmte Bündel von Merkmalen auszeichnen […]" (Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 248). In der Linguistik unterscheidet man zudem zwischen textexternen und textinternen Kriterien. Angewendet auf politische Textsorten wären die folgenden Merkmale zu unterscheiden:


 

3.1 Zu den textexternen Kriterien des Abstimmungsplakats

Allen Texten übergeordnet ist die kommunikative Situation. Dieser Ansatz folgt der kommunikativ-pragmatischen Wende in der Sprachwissenschaft Ende der 60er-Jahre:

"Sprache ist demnach kein Selbstzweck, sondern findet immer in bestimmten Situationen statt, richtet sich an ein Gegenüber und ist zielorientiert. Grundlage hierfür ist die Einsicht, dass politisches Handeln vornehmlich sprachliches Handeln ist. Im Mittelpunkt steht also die Frage nach der Sprachverwendung in konkreten politischen Kommunikationssituationen." (Girnth 2002: 31)

Für politische Textsorten etwa ist es entscheidend, ob sie aus einem autoritären oder demokratischen System stammen: Staatspropaganda gibt es nur in Diktaturen und ist in Demokratien undenkbar; repräsentative Demokratien wiederum werden Wahlplakate hervorbringen, nicht aber Abstimmungsplakate, denn diese Textsorte gibt es nur in politischen Systemen mit direkt-demokratischen Elementen. Das politische System gestaltet also die Kommunikationssituation und bildet somit den übergeordneten Rahmen für die politischen Textsorten ganz allgemein (vgl. auch Arnold 2005: 13f.).

Weiterhin entscheidend ist die Funktion, die eine Textsorte erfüllt, denn es macht einen Unterschied, ob ein Text primär informieren, eine Meinung wiedergeben oder den Rezipienten zu einer Handlung auffordern will. Als textexterne Kriterien gelten somit die Informationsfunktion, die Artikulationsfunktion und die Appellfunktion von Textsorten. Dabei fokussiert die Informationsfunktion den inhaltlichen Aspekt, die Artikulationsfunktion den kommunikativen Aspekt und die Appellfunktion die intendierte Wirkung beim Empfänger. Girnth (2002) redet z.B. im Zusammenhang mit Wahlreden oder -slogans von einer informativ-persuasiven Sprachfunktion, wobei mit einer Dominanz der Appellfunktion zu rechnen sei (vgl. ebd. S. 41). Tatsächlich hat gemäss dem "Organon-Modell" von Karl Bühler (1934: 28) jede Äusserung Aspekte der sachlichen Darstellung, des Selbstausdrucks und des Appells. Beispielsweise kommt kein Abstimmungsplakat ohne minimale inhaltliche Darstellung der Sachlage aus (Information); auch wird meist deutlich, wer für oder gegen eine politische Vorlage einsteht, denn politische Akteure nutzen die Gelegenheit, um sich zu präsentieren und ihre Anhänger anzusprechen (Artikulation). Die zentrale Funktion des Abstimmungsplakats ist aber der Appell an das Stimmvolk, gemäss der Empfehlung des Plakats zu votieren (zum Appell als zentrale Funktion von Reklametexten vgl. auch Nöth 1975: 42–46; Arnold 2005: 13f.).

Die Appellfunktion ist zudem charakteristisch für das Plakat als Kommunikationsmedium ganz allgemein: So hält Rotzler (1990: 8) folgende Begriffsdefinition bereit: "Das Plakat ist ein Werbemittel, vergleichbar dem Prospekt oder dem Inserat, das zu Kauf oder anderem Handeln auffordert und sich zu diesem Zweck verbaler und bildlicher Mittel bedient." Je nach Gattung lassen sich verschiedene Anschlusshandlungen unterscheiden: Bei einem kommerziellen Plakat ist es der Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung, bei einem Veranstaltungsplakat die Teilnahme, bei einer Informationskampagne die Aufklärung und bei einem politischen Plakat die Meinungsbildung und die Mobilisierung. Wichtig zu erwähnen ist, dass es sich bei Marketing-Medien immer um bezahlte Kommunikation handelt, die interessengeleitet ist (vgl. Kamps 1999: 3). Man spricht daher auch von paid media (vgl. Blum 1996: 19; Bonfadelli 2000: 76) in Abgrenzung zu free media, den unabhängigen Informationsmedien wie Forumspresse, Rundfunk und Fernsehen (vgl. Arnold 2005: 15).

Wie bereits erwähnt, lassen sich Abstimmungskämpfe mit unterschiedlichen Kommunikationsmedien bestreiten, bestenfalls unter dem Einsatz einer ganzen Medienpalette. Für das Plakat charakteristisch sind u.a. Ort und Zeitdauer des Anschlags, Aussen- oder Innenaushang, Material, Träger und Format (vgl. HWR S. 1230). Letzteres variiert von DIN A3 über das so genannte Weltformat B4 bis hin zu mehrteiligen Plakaten vom Format B12 (vgl. Ofa 1997: 14; auch Kamps 1999: 17ff.). Das Plakat wird zudem vorwiegend in den Strassen ausgehängt und ist daher ein ausgesprochen urbanes Medium (vgl. Rotzler 1990: 8; auch Kamps 1999: 7ff.). Durch den mehrfachen Aushang und durch die Mobilität der Passanten wird das Plakat, obwohl es ein statisches Medium ist, wie ein Werbespot wiederholt rezipiert, was die Einprägsamkeit der Werbebotschaft steigern und zu einem Anschlusshandeln des Rezipienten führen soll. "Nicht der ausführlichen Information dient es überwiegend, sondern der knappen unmittelbaren Ansprache, der Überredung durch wiederholte, ständige Konfrontation" (Kamps 1999: 3). Das Plakat ist also öffentlich und dient der massenhaften Beeinflussung; und da es zudem einseitig und medienvermittelt kommuniziert, handelt es sich nach der Definition von Maletzke (1963) um ein Massenmedium. Entsprechend definiert auch das Historische Wörterbuch der Rhetorik das Plakat als ein "konstitutiv auf rhetorische Wirkung hin angelegtes Medium der Massenkommunikation" (HWR S. 1230; vgl. Arnold 2005: 10).

Wie von Rotzler (1990: 8) erwähnt hat das Plakat als Marketing-Medium Ähnlichkeiten mit anderen Werbeträgern wie dem Inserat oder Prospekt. Diese werden in Zeiten des profes­sionalisierten Marketings oft zusammen mit dem Plakat entworfen und ergänzen sich meist inhaltlich und visuell. Während allerdings das Plakat mehr auf optische Wirkung bedacht ist (vgl. Kamps 1999: 3) und häufig einen dominierenden Bildanteil aufweist, sind Inserate und Prospekte textintensiver. Eher für die gerichtete Aufmerksamkeit und weniger für die flüchtige Aufnahme im Vorbeigehen konzipiert finden sich in diesen Textsorten oft Argumenta­tionen, die im Plakat nur angedeutet oder auf die Parole verkürzt sind (vgl. Arnold 2005: 17).

Diese Intertextualität weist auf eine weitere Dimension der Textsorte Abstimmungsplakat hin, nämlich auf den politischen Prozess. So wie der Kontext die eher statischen Parameter der politischen Kommunikation festlegt (Polity), so legt der politische Prozess (Politics) ihren Stellenwert im Ablauf fest. Die Abstimmungskommunikation, die sich zu einem bestimmten Politikfeld (Policy) während unterschiedlichen politischen Phasen in unterschiedlichen Öffentlichkeitsarenen und mit verschiedenen Medien vollzieht, kann als Diskurs begriffen werden. In Anlehnung an Jarren, Donges und Wessler (1996: 13) lassen sich folgende Phasen unterscheiden:

Problemartikulation – Problemdefinition – Politikdefinition – Programmentwicklung – Implementation – Evaluation

Wie Jarren, Donges und Wessler in Ihrem Modell idealtypisch darlegen, ist der Einfluss der Medienöffentlichkeit – und damit auch die Möglichkeit der öffentlichen Beobachtung – je nach Phase unterschiedlich: In der Phase der Problemartikulation, der eine Phase der internen politischen Willensbildung vorausgeht (vgl. Girth 2002: 38), tragen Parteien, Verbände und andere Interessengruppen ihre Anliegen und Lösungsansätze per Pressecommuniqués und Statements in Radio und Fernsehen an die Öffentlichkeit. Während der Phase der Problemdefinition findet in der vorwiegend massenmedialen Öffentlichkeit eine Konkretisierung des Problemverständnisses statt. Je nach Interessengruppe fallen die Interpretationen und Lösungsansätze unterschiedlich aus und stehen zueinander in Konkurrenz. In der Phase der Politikdefinition greifen politische Akteure das Problem auf und formulieren es im Hinblick auf den Gesetzgebungsprozess. In der Phase der Programmentwicklung wird die Gesetzesvorlage in Teilöffentlichkeiten ausgearbeitet: in Arbeitsgruppen von Parteien und Interessengruppen sowie in parlamentarischen Kommissionen und den Räten. Schliesslich wird das Gesetz implementiert. Im Unterschied zu Deutschland findet aber in der Schweiz bei Referenden oder Volksinitiativen vorher eine Volksabstimmung statt, die über die Einführung von neuen Gesetzesbestimmungen entscheidet. Die Phase vor der Implementierung erreicht in der Schweiz daher die grösste massenmediale Aufmerksamkeit. In dieser Phase erreichen auch die Kampagnen der politischen Akteure ihre höchste Intensität. Erst bei Annahme der Vorlage wird das Gesetz konkretisiert und von der Exekutive implementiert. Die Phasen der Implementierung und der Evaluation vollziehen sich wieder in Teilöffentlichkeiten und entziehen sich zumeist der öffentlichen Wahrnehmung – es sei denn, es treten Schwierigkeiten auf. Erweist sich ein Gesetz in der Schlussfassung oder in der Umsetzung als problematisch, so kann das der Ausgangspunkt einer erneuten Problemartikulation sein und den politischen Prozess wieder in Gang bringen.

Girnth (2002: 77) unterscheidet je nach Position innerhalb des Diskurses zwischen initialen, prozessualen und terminalen Texten. Der initiale Text in der Abstimmungskommunikation wäre beispielsweise der Initiativtext für Gesetzesänderungen. Er löst allerdings nur dann einen Diskurs aus, wenn die Initiative auch zustande kommt, d.h. ausreichend Unterschriften gesammelt und termingerecht eingereicht wurden. Was das Abstimmungsplakat betrifft, so fällt es in die entscheidende Phase kurz vor der Volksbefragung und bringt die Positionen, Wertungen und Kernargumente der politischen Akteure auf den Punkt. Damit bildet das Plakat gewissermassen einen Kristallisationspunkt des Diskurses gegen Ende des politischen Prozesses. Nach Girnth (ebd.) wäre das Plakat aber noch als prozessual zu klassifizieren, denn das 'letzte Wort' hat das Volk, was einem performativen Akt   gleichkommt (vgl. Austin 1972: 27; vgl. auch Arnold 2005: 95). Mit dem Ja oder Nein an der Urne (bzw. am Briefkasten) geben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger den Volkswillen kund, der für den weiteren Gesetzgebungsprozess handlungsrelevant ist. Das eigentliche Resultat oder der terminale Text des Diskurses ist der neue (oder bisherige) Gesetzestext.

Girnth (ebd.) geht gestützt auf Klein (1991) in seiner Klassifikation noch weiter und unterscheidet zwischen Texten, die Gegenstand eines Diskurses sind wie z.B. Wahlprogramme oder Parteitagsreden (Primärtexte), und Texten, die den Diskurs vorantreiben wie die meinungsbildenden Beiträge von Rundfunk und Presse (Sekundär- oder Metatexte).

Diese Unterscheidung scheint für die Verhältnisse in Deutschland adäquat, ist aber für das schweizerische System mit seinen direkt-demokratischen Elementen wenig praktikabel. Denn das Verfahren der Volksabstimmung macht auch die politischen Akteure zu aktiven Teilnehmern des Diskurses, die den Verlauf massgeblich mitbestimmen. So gesehen würden Initiativ- und Gesetzestexte als Primärtexte gelten und die politischen Kampagnen als Sekundärtexte. Die informierenden und meinungsbildenden Beiträge von Rundfunk- und Presse wären als Metatexte zu unterscheiden. Sekundär- und Metatexte wären somit gemeinsam am Verlauf des Diskurses über den Primärtext einer Abstimmungsvorlage beteiligt, wobei auch die Sekundärtexte der politischen Kampagnen Gegenstand der Metatexte von Rundfunk und Presse werden können (vgl. die Medien als Reflektoren und Diffusionskanäle bei Imhof 1993: 34f.).

Was die textexternen Kriterien betrifft, so können wir sie für das Abstimmungsplakat wie folgt zusammenfassen: Der politische Kontext, die beratende Appellfunktion in der Schlussphase der Abstimmungskommunikation und das Kommunikationsmedium bilden zusammen die textexternen Kriterien zur Klassifikation des Abstimmungsplakats. Das Abstimmungsplakat ist demnach ein Massenmedium des politischen Marketings (Kommunikationsmedium), das in direkt-demokratischen Systemen von politischen Akteuren im Abstimmungskampf vor Volksbefragungen eingesetzt wird (Prozessphase bzw. Kommunikationssituation), um das Stimmvolk von einer Vorlage zu überzeugen oder abzuraten und zur Abstimmung zu mobilisieren (Kommunikationsfunktion) (vgl. Arnold 2005: 15).

 

3.2 Zu den textinternen Kriterien des Abstimmungsplakats

Nach den textexternen Merkmalen des Abstimmungsplakats ist der Blick nun auf die textinternen Merkmale zu richten: Als typisch für das Plakat gelten eine abstrahierende Reduktion und Konzentration auf das Wesentliche (vgl. Kamps 1999: 3; HWR S. 1230). Zudem kann das Plakat charakterisiert werden als ein "auf optische Wirksamkeit ausgerichtetes graphisches Medium, das sich in der Regel der Verbindung zweier Zeichensysteme bedient: Schrift und Bild" (HWR S. 1230). Kamps (1999) unterscheidet je nach Vorhandensein und Gewichtung dieser Zeichensysteme vier Grundarten von Plakaten: "Textplakat", "Text-Bildplakat", "Bild-Textplakat" und "Bildplakat" (S. 55). Dabei besteht das Bildplakat nur aus bildlicher Darstellung ohne Text und das Textplakat verzichtet auf bildliche Darstellung, ausgenommen vielleicht auf Ornamente oder grafisch gestaltete Rahmen (vgl. ebd.). Die rhetorische Überzeugungskraft entfaltet das Plakat nicht zuletzt durch die Verbindung der Zeichensysteme sowie durch eine "Emotionalisierung durch Illustration" (Kamps 1999: 67).

Eine quantitative Inhaltsanalyse von Abstimmungsplakate der öffentlichen Sammlungsbestände von 1891 bis 1990 bestätigt diese eingangs vorgenommene Charakterisierung (vgl. Arnold 2005: 67ff., 77; Arnold 2007a: 19ff.). Tatsächlich ist das Abstimmungsplakat geprägt von einer starken Reduktion auf das Wesentliche: Die meisten Plakate (73.3%) zählen nur ein bis drei Texteinheiten, was auf eine enthymematische Struktur des Abstimmungsplakats hinweist. Mit anderen Worten: Unter dem Zwang der Reduktion auf das Wesentliche sind die politischen Plakate auf den rhetorischen Kern der Argumentation konzentriert. Denn das Ziel des Abstimmungsplakats ist es, das Stimmvolk von seiner Stimmempfehlung zu überzeugen. Und da die Argumentationsstruktur des Enthymems oft in verkürzter Form vorkommt, wäre erklärbar, warum Abstimmungsplakate mit drei oder weniger Aussagen auskommen.

Ein Enthymem ist eine Argumentationsstruktur bestehend aus drei Schritten: Argument, Begründungszusammenhang (auch Schlussregel genannt) und der daraus abgeleiteten Konklusion (vgl. Ottmers 73ff.). Dabei müssen allerdings nicht immer alle Argumentationsschritte explizit realisiert sein, sondern können auch in impliziter oder verkürzter Form vorkommen. Beispielsweise kann eine rhetorische Frage als Argument verstanden werden, das über eine latente Bewertung (Begründungszusammenhang) die Konklusion als Antwort suggeriert. Auch Schlagworte können als Verdichtung einer Argumentation begriffen werden.

Darüber hinaus entfällt jede verzichtbare Information, die vom Betrachter im Kontext des Abstimmungskampfes erschlossen werden kann. So ist bei der Mehrheit der Plakate das Datum (63.7%) nicht erwähnt oder der Titel der Vorlage nur verkürzt wiedergegeben (63.5%). Unverzichtbar ist demgegenüber die Parole (96.2%), denn sie ist gleichbedeutend mit der Konklusion und somit ein unabdingbarer Bestandteil der Argumentation (vgl. Arnold 2005: 71, 87, 108).

Auch Bilder auf reduzierten Plakaten haben weit mehr als nur einen emotionalisierenden Dekorationszweck; denn bei Textsorten, die auf grösstmögliche Reduktion bedacht sind, kann für schmückendes Beiwerk kein Platz sein. Vielmehr muss auch das Bild als integraler Bestandteil der Argumentation begriffen werden. Bereits Kamps bemerkt: "Beim Zusammenwirken von Bild und Text hat […] das Bild beträchtliche Teile der Gesamtinformation des Plakats zu transportieren" (Kamps 1999: 53). Gerade bei Plakaten mit nur zwei bis drei Texteinheiten ist anzunehmen, dass das Bild eine argumentative Funktion übernimmt (vgl. Arnold 2005: 87, 90, 91ff., 108).

Wie die quantitative Inhaltsanalyse weiter zeigt, machen Bild-Textplakate die überwiegende Mehrheit des Untersuchungskorpus aus (51.9%), gefolgt von reinen Textplakaten (27%) und Text-Bildplakaten (21.1%) (vgl. Arnold 2005: 70). Letztere sind seit den 50er-Jahren wieder häufiger, wobei es sich aber nicht mehr wie Anfang 1900 um illustrierte Textplakate handelt, sondern um typografische Plakate mit optischem Blickfang. Im Vordergrund steht nun der Slogan. "Textlastige" Abstimmungsplakate gehören aber nicht der Vergangenheit an, sondern kommen im Zeitverlauf immer wieder vor, insbesondere dann, wenn ein Politikfeld neu ist und erhöhter Erklärungsbedarf besteht (vgl. Arnold 2005: 69, 86f., 92ff.). An diesen wie auch an den ganz frühen Textplakaten lässt sich die rhetorische Grundstruktur besonders deutlich ablesen. Bereits Meylan, Maillard und Schenk (1979) sagen über die frühen typografischen Abstimmungsplakate: " […] der Text, den man so anschlägt, hat oft viel von einer politischen Brandrede" (S. 9). Und auch wenn die einstigen "Brandreden" der frühen Abstimmungsplakate mit dem Aufkommen der modernen Bildreproduktionstechnik auf ihre Essenz geschwunden sind, lässt sich ihre rhetorische Grundstruktur noch immer nachweisen.

Nur gerade 43 Plakate weisen den vollständigen Titel der Vorlage auf (7.7%), bei der überwiegenden Mehrheit, nämlich bei 355 Plakaten (63.5%), wird der Titel nur verkürzt wiedergegeben, in 127 Fällen (22.7%) kommt er in abgewandelter und oft auch wertender Form vor. In 34 Fällen (6.1%) fehlt der Titel ganz. Typisch sind Umbenennungen und damit auch Bewertungen der Vorlagentitel. Ein Beispiel nennt Hardmeier (1999: 212f.) mit der "Gen-Schutz"-Initiative, die von den Gegnern, sprich: Befürwortern der Genforschung, in eine "Gen-Verbots"-Initiative umbenannt und somit abgewertet wurde. Im Anschluss an diese Dethematisierung war eine ideologische Umdeutung und positive Neubesetzung der Genforschung möglich. Die Abwandlung der Titel zwecks (Ab-)Wertung ist aber kein neues Phänomen, sondern taucht bereits in den kontroversen Zwischenkriegsjahren auf, wo es auf über einem Drittel aller Plakate feststellbar ist (36%) und erlebt während den ideologischen Auseinandersetzungen in den 50er-Jahren (30.2%) und in den bewegten 70er-Jahren (26%) erneut eine Blüte. Ein schönes Beispiel ist die Umbenennung der "Kriseninitiative" in "Katastropheninitiative" auf einem Plakat von 1935 zur 'Bekämpfung der Wirtschaftskrise' (MfGZ 13-617; vgl. Arnold 2005: 102). Die Umbenennung politischer Sachverhalte zwecks Bewertung und Vereinnahmung wird in der Politolinguistik "Bezeichnungskonkurrenz" genannt (vgl. Klein 1989: 17ff.; Klein 1991: 44–69; Girnth 2002: 62–70).

Bezeichnungskonkurrenz ist aber nicht nur in Bezug auf den Abstimmungsgegenstand festzustellen, sondern auch in den Selbst- und Fremdbezeichnungen der politischen Akteure, die durch "Selbstaufwertung" und/oder "Gegnerabwertung" die Öffentlichkeit und ihre spezifischen Zielgruppen von ihrer Position zu überzeugen suchen (vgl. auch Klein 1998: 378). Dies geschieht in der politischen Kommunikation häufig über die negative oder positive Konnotation von Begriffen: Die Denotation ist die grundlegende Bedeutung eines Zeichens, wie sie von einer Sprachgemeinschaft zugewiesen wird. Demgegenüber ist die Konnotation die Verbindung der Bedeutung eines Zeichens mit anderen Zeichenbedeutungen. Diese werden von einer Gesellschaft oder auch nur von einzelnen Gruppen oder Individuen assoziiert (vgl. Barthes 1964: 130ff.; auch Eco 1972: 101–107; Bonfadelli 2002: 163). Begriffe wie 'Sozialismus', 'Kommunismus', 'sozial' und 'marxistisch' auf Plakaten der Sozialdemokraten sind positiv konnotiert. Auf Plakaten der bürgerlichen Parteien erfahren sie jedoch eine negative Konnotierung: Das "Nein" zur "Kommunisten-Initiative" auf einem Plakat zur "Warenumsatzsteuer" von 1952 suggeriert (SfG 9927; vgl. Arnold 2005: 85, 102, Bildteil S. 25), dass nicht gut sein kann, was aus dieser Quelle kommt.

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Kopperschmidt zufolge ist die Gruppenzugehörigkeit massgebend für die Argumentationsweise und daher auch ein Typologisierungsprinzip zur Analyse von politischen Textsorten:

"Dieses Typologisierungsprinzip unterstellt, dass sich in der Art des Argumentierens von Subjekten auch die Denk-, Wertungs- und Urteilsmuster zur Geltung bringen, die in den Gruppen (Schichten, Klassen, Verbänden, Organisationen usw.) konventionalisiert sind, denen argumentierende Subjekte sozial angehören und aus denen sie entsprechend u.a. Orientierungen für die Bewältigung ihrer gesellschaftlichen Existenz beziehen." (Kopperschmidt 1989: 175)

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Dieses Phänomen zeigt sich nicht nur in den Begriffen, sondern auch in der Bildsymbolik. So wird zum Beispiel die Farbe Rot von den Sozialdemokraten als Parteifarbe eingesetzt und von wertkonservativen Parteien als patriotisches Symbol der Schweizer Flagge. Gleichzeitig kann die Farbe Rot von den konservativen Parteien eine Abwertung erfahren, wenn sie als Symbol für die 'bolschewistische Bedrohung' eingesetzt wird (SfG 9927; vgl. Arnold 2005: 101f.). Ein Beispiel hierfür wäre das Plakat von 1921 zur "Militärjustiz-Initiative", worauf die linken Initianten als rote Ratten dargestellt werden, die an den Wurzeln und somit an den Grundfesten der Schweiz nagen (MfGZ 36-110; vgl. Arnold 2005: 45, 101). Dieses Plakat gelangte 2004 zur "Prämiensenkungsinitiative" auf einem Presseplakat der SVP zu einer unrühmlichen Renaissance (vgl. auch die Frontseite der Parteizeitung "SVP ja – Die Zeitung des Mittelstandes" Nr. 02/2004). Presseplakate werden bei Pressekonferenzen von Parteien medienwirksam enthüllt oder anlässlich von Medienkonferenzen im Hintergrund aufgehängt, um über die massenmediale Verbreitung eine grössere Reichweite zu erhalten. Meistens werden diese – oft sehr provokativen – Plakate im öffentlichen Raum nie ausgehängt, sondern zehren von der massenmedialen Verbreitung und der dadurch ausgelösten Empörung.

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Schliesslich werden so genannte "Hochwertwörter" ins Feld geführt, die sich Parteien "auf die Fahne schreiben" wie die Linken 'Solidarität' oder 'Gerechtigkeit' und die Liberalen 'Freiheit' (vgl. Arnold 2005: 86; 91; 102ff.). Auch diese so genannten "Fahnenwörter" sind aber nicht davor gefeit, von den politischen Gegnern stigmatisiert zu werden (zu Fahnen- und Stigmawörtern vgl. Panagl 1998: 13–21; zu ihrer Bezeichnungs-, Bedeutungs- und Bewertungskonkurrenz vgl. Klein 1998: 11–28; 1991: 50–69; vgl. auch das "Ideologievokabular" und den "Kampf um Wörter" bei Girnth 2002: 50–69).

"Nichts ist so integrierend wie der gemeinsame Feind" (Imhof 1993: 35). Daher zeichnen sich Selbst- und Fremddarstellungen nicht zuletzt durch die Idealisierung der eigenen Zielgruppe und durch die Karikierung oder Stigmatisierung der gegnerischen Partei aus (zu Differenzsemantiken vgl. Imhof 2006: 193; 207; 211). Ist bei einer Abstimmungsvorlage eine bestimmte Bevölkerungsgruppe involviert wie z. B. die Frauen anlässlich des Frauenstimm- und -wahlrechts oder die Ausländer anlässlich der zahlreichen Vorlagen zur Verschärfung des Ausländer- und Asylgesetzes, so sind auch diese Bevölkerungsgruppen in Bild und Text ganz direkt Stereotypisierungen und Stigmatisierungen ausgesetzt (vgl. Arnold 2005: 99, 101f., Bildteil S. 6, 7, 13, 16, 20, 22, 23–26). Besonders krass ist ein Plakat von 1920 zum Frauenstimm- und -wahlrecht des Kantons Zürich. Das Plakat trägt den Schriftzug "Wollt ihr solche Frauen? Frauenstimmrecht NEIN", wobei sich diese Aussage auf die Darstellung einer Frau bezieht, die ausgesprochen hässlich ist und männliche Züge zeigt wie beginnender Haarausfall und Bartwuchs. Dargestellt ist hier der Topos der 'Vermännlichung', da Politik – so die hier zugrunde liegende Argumentation – ein männliches Geschäft sei und Frauen, die Politik betreiben, vermännlichen würden (vgl. Arnold 2005: 99; auch Thalmann 2001: 81).

Berühmtheit erlangt hat auch das so genannte "Messerstecherplakat" "STOP dem Asyl-Missbrauch" zur "Asylrechtsmissbrauch-Initiative" der SVP von 1999 (vgl. Nigg 1999: 242). Dieses Motiv ist übrigens bereits 1967 belegt (vgl. Meylan/Maillard/Schenk 1979: 126; auch Nigg 1999: 243) und zeigt wie schon das "Rattenplakat", dass sich aktuelle Kampagnen immer wieder an historischen Beispielen orientieren.

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Gegen das Plakat "Kontaktnetz für Kosovo-Albaner NEIN" der SVP Stadt Zürich von 1998 ist schliesslich eine Klage wegen Rassendiskriminierung eingegangen (vgl. Bärtsch 2005: 108; auch Nigg 1999: 246). Bemerkenswert ist der Schriftzug "Kontaktnetz für", der gegenüber dem Schriftzug "Kosovoalbaner NEIN" auffallend klein ist, so dass sich die Aussage auf Distanz zu "Kosovo-Albaner NEIN" verkürzt. Die Ablehnung bezieht sich somit nicht mehr auf das geplante Kontaktnetz, sondern gegen die Bevölkerungsgruppe der Kosovo-Albaner selbst. Dieses Plakat blieb allerdings nicht unwidersprochen, sondern wurde mit den gleichen rhetorischen Mitteln gekontert. Solche Beispiele von Rede und Gegenrede lassen sich zu allen Zeiten finden und zeigen den rhetorischen Charakter des Abstimmungsplakats.

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Das aktuellste Beispiel einer Stigmatisierung findet sich in einem Inserat der SVP, das eine verkürzte Statistik zum Anstieg der Jugendkriminalität auf den ausländischen Bevölkerungsanteil zurückführt und mit der Fotografie eines farbigen Rappers illustriert (vgl. Tagblatt der Stadt Zürich, 31.01.2007, S. 43; zur Fremdenfeindlichkeit im Vorfeld und im Verlauf von Krisenphasen vgl. Imhof 1993: 37). Damit wären wir bei der Erscheinungsform und Funktion des Bildes:

In der Gestaltung überwiegt die Grafik (56.5%), gefolgt von der typografischen Schriftgestaltung (27.4%) und der Fotografie (16.1%). Letztere kommt seit den 50er-Jahren gehäuft vor und findet sich in den 80er-Jahren bereits auf mehr als einem Drittel (35.1%) aller Plakate. Gemäss Meylan, Maillard und Schenk (1979) wird die Fotografie auf Plakaten eingesetzt, um "eine reale Situation aufzuzeigen". Roland Barthes (1964: 46) redet von der Fotografie als dokumentarisches Medium, das den Charakter eines Zeugnisses hat (vgl. "l’avoir-été-là" bei Barthes 1964: 47; vgl. auch Arnold 2005: 88f., 91, 104). Es ist daher anzunehmen, dass die Fotografie vor allem dann auf politischen Plakaten Anwendung findet, wenn auf Missstände hingewiesen wird.

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In den meisten Fällen ist jedoch eine Abbildung des Abstimmungsgegenstandes aufgrund seiner Abstraktheit oder Komplexität nicht ohne weiteres möglich. Darüber hinaus zeigen viele Plakate nicht die zu verändernde Gegenwart, sondern führen eine zukünftige Ideal- oder Schreckensvision vor Augen. Für Gesellschaftsentwürfe eignet sich die Collage oder Grafik als Darstellungsmittel ungleich besser als die Fotografie, die eher dem Vergangenen und Gegenwärtigen verhaftet bleibt. Insofern aber das Abstimmungsplakat auf Zukünftiges verweist, sind seine Szenarien im eigentlichen Sinne utopisch (zum Utopiebegriff vgl. Imhof 2006: 157ff.; 172).

Was das Bildmotiv betrifft, so steht der Mensch im Vordergrund (51.6%), auch wenn seine Präsenz mit den abstrakter werdenden Abstimmungsvorlagen schwindet. Der Mensch steht oft metonymisch für die ganze Gesellschaft ('der Schweizer'), als Vertreter eines Berufsstandes ('der Beamte'), einer Funktion ('der Soldat') oder eines sozialen Standes ('der Arbeiter', 'der Kapitalist'). In Gruppen unterschiedlichen Geschlechts und Alters wird zudem ein Prototyp 'Familie' dargestellt (vgl. auch Eco 1972: 274f.; Arnold 2005: 96f.). Schliesslich werden oft nur Hände, Arme oder Beine gezeigt, die aktiv in das Bildgeschehen eingreifen. Menschliche Glieder stehen daher symbolisch für eine Handlung. Wie eine explorative Auswertung des Untersuchungskorpus zeigen konnte, gilt der Mensch als Essenz der Gesellschaft und wird vorwiegend auf Plakaten des linken Lagers dargestellt (vgl. Arnold 2005: 103f.; Ikonographie des Sozialismus ). Das hängt mit den bevorzugten Politikfeldern der sozialdemokratischen Akteure zusammen, die sich selbstredend auf Sozialpolitik konzentrieren. Eine statistische Auswertung konnte jedenfalls zeigen, dass zwischen menschlichen Darstellungen auf Abstimmungsplakaten und Politikfeldern wie Arbeit und Sozialversicherung oder Frauen- und Familienpolitik ein signifikanter Zusammenhang besteht (vgl. Arnold 2005: 73; 103f.; Arnold 2007a: 25). Als zweithäufigstes Motiv folgen Fahnen und Wappen. Diese finden immer dann Verwendung, wenn der nationale (oder fallweise auch kantonale) Charakter einer Vorlage hervorgehoben wird. Die Schweizer Landesgrenzen werden zudem bevorzugt dargestellt, wenn die Schweiz in Abgrenzung zum 'Rest der Welt' stilisiert oder karikiert wird (vgl. Arnold 2005: 72, 99, Bildteil S. 21, Arnold 2007a: 24, 25). Auch die Darstellung des Schweizerkreuzes hat oft, aber nicht immer einen patriotischen Einschlag, findet es doch häufig auf Plakaten zu Verfassungsänderungen Verwendung. Dritthäufigstes Motiv sind interessanterweise Fesseln, Verbotsschilder und Paragraphen. Wie eine explorative Nachforschung ergeben hat, handelt es sich hierbei um die Ikonographie des Liberalismus . Denn die Freiheit als Kern der liberalen Argumentation ist ein Abstraktum und entzieht sich der bildlichen Darstellung. Deshalb muss die Freiheit über Umwegen zur Darstellung gelangen, und zwar ex negativo durch ihre tatsächliche oder vermeintlich drohende Beschränkung. Entsprechend häufig finden sich Paragraphen und ähnliche Symbole gehäuft auf Abstimmungsplakaten, die wirtschaftliche Vorlagen zum Gegenstand haben (vgl. Arnold 2005: 72f., 102f.). An vierter Stelle der Bildmotive rangieren Tiere, Pflanzen und Landschaften. Diese stehen oft in einem Abbildungsverhältnis zum Gegenstand der Abstimmungsvorlage, jedenfalls ist der Zusammenhang mit dem Politikfeld Naturschutz von mittlerer Signifikanz (vgl. Arnold 2005: 73; Arnold 2007a:25).

Allerdings kommen Bilder auf Abstimmungsplakaten oft nicht als Ikone, sondern als Symbole vor. Ein Ikon ist ein Zeichen, das in einem Abbildungsverhältnis zu seinem Bezeichneten steht. Demgegenüber steht ein Symbol in einer arbiträren Beziehung zu seinem Bezeichneten, die durch gesellschaftliche Konvention zugewiesen wird. Ein Index schliesslich steht in einem kausalen Zusammenhang zu seinem Bezeichneten, insofern das Zeichen auf seine zeitliche/kausale Ursache verweist (zur Zeichentheorie vgl. Morris, Charles William (1972): Grundlagen der Zeichentheorie. Ästhetik und Zeichentheorie. München; vgl. auch Nöth 1975: 4–25; Bonfadelli 2002: 162–166; Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 19–24). Während die Denotation einer Bildbotschaft durch die Identifikation des Abgebildeten bestimmt werden kann, lässt sich die mögliche Symbolik einer Bildbotschaft erst in Verbindung mit dem Text auf den Plakaten interpretieren. Auf der Grundlage meiner Studie von 2005 wird sich daher eine Folgestudie noch vertieft mit der Bildsymbolik beschäftigen und die enthymematische Grundstruktur des Abstimmungsplakats nachweisen (vgl. Arnold 2007c).

 

4 Zusammenfassung

Entstanden ist das Plakat als obrigkeitlicher Anschlag in der Antike und hat sich im Verlauf der Geschichte zum Medium der Werbung, Kultur und Politik gewandelt. So wurde aus dem Verlautbarungsmedium der Obrigkeit immer mehr ein Träger der politisch Andersdenkenden, angefangen mit der Reformation ab 1517 über die Französische Revolution 1789 bis hin zur Revolution 1848, die die Ausgangslage bildete für die Schweizer Bundesverfassung. Ab 1891 sind sämtliche politische Rechte als Voraussetzung für das Abstimmungsplakat gegeben. Der Meinungsstreit fand zunächst Ausdruck in politischen Reden, die mit den neuen Druckmedien Flugblatt, Flugschrift und Anschlag nicht mehr nur gesprochen, sondern zunehmend auf Papier gedruckt wurden. Entsprechend ist das politische Plakat – so die zentrale These – im Aufbau, im Stil und in der Argumentationsstruktur als politische Rede gestaltet. Ausgehängt in urbanen Zentren für die flüchtige Aufnahme der Passanten fand das Plakat zu immer reduzierteren Formen in Text und Bild, die im Kern jedoch ihre ursprüngliche Funktion und Argumentationsstruktur erhalten haben.

Das Abstimmungsplakat ist nach textexternen Kriterien zu definieren als ein Medium des politischen Marketings, das in einer Demokratie von politischen Akteuren eingesetzt wird, um das Stimmvolk bei Sachabstimmungen von ihrer Position zu überzeugen. Als Auftragskom­munikation, die von politischen Interessengruppen geplant, finanziert und geschaltet wird, ist das Abstimmungsplakat nur ein Teil einer ganzen Kampagne und steht am Ende des Abstimmungskampfes. Seine Aufgabe ist es, die Argumentation des politischen Akteurs kurz vor der Abstimmung pointiert zusammenzufassen und seine Position unmissverständlich klar zu machen. Insofern es Gleichgesinnte anspricht und sich gegen Andersdenkende abgrenzt, kommt dem Abstimmungsplakat eine Orientierungsfunktion zu. Und insofern es polarisiert, verstärkt es die bestehenden Meinungen eher, als dass es sie verändert. Eine persuasive Wirkung ist allenfalls bei den Unentschiedenen anzunehmen, die nur schwach in politische Lager eingebunden oder mangelhaft informiert sind und aufgrund der Komplexität von Sachfragen zu keinem eigenen Urteil finden. Oft sind die Verhältnisse von Mehrheit und Minderheit schon vor der Abstimmung gegeben und verändern sich während des Abstimmungskampfes nur unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Arnold 2007a: 12ff., 26f.).

Die Entstehungsgeschichte, die politische Situation und die Funktion des Abstimmungsplakats schlagen sich auch in der inneren Struktur dieser Textsorte nieder. Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass das Abstimmungsplakat ausgehend von seiner Entwicklungsgeschichte einen kämpferischen Charakter hat und textintern wie eine politische Rede aufgebaut ist. Auffällig ist, dass die meisten Abstimmungsplakate nur mit drei oder weniger Texteinheiten auskommen (73.3%), was auf eine enthymematische Struktur hindeutet. Mit anderen Worten: Unter dem Zwang zur Reduktion auf das Wesentliche sind die politischen Plakate auf den rhetorischen Kern der Argumentation konzentriert. Auch in reduziertester Form erhalten bleibt jedoch die Parole (96.2%), denn sie ist gleichbedeutend mit der handlungsanweisenden Konklusion. Aufgrund dieser Reduktion auf das Wesentliche, kommt auch dem Bildanteil eine argumentative Bedeutung zu, zumal über die Hälfte aller Abstimmungsplakate aus einer Bildfläche mit wenig Text bestehen (51.9%). Als deliberative Textsorte bedient sich das Abstimmungsplakat der alltagslogischen Argumentationsstrukturen ebenso wie der affektischen Stilmittel, um das Stimmvolk vom Nutzen oder Schaden einer Abstimmungsvorlage zu überzeugen (vgl. Arnold 2005: 85f., 109). Im Text wie auch im Bild finden sich Werte, Ideale und Stereotypen die von der Karikierung bis zur Stigmatisierung reichen können. Denn als Ausdruck eines bestimmten Standpunktes lassen Werte die politische Positionierung erkennen. Und das ist zentral für eine politische Textsorte, die weniger die breite Öffentlichkeit überzeugen, als die eignen Reihen schliessen will (vgl. Imhof 1993: 28). Die kämpferische bis polemische Eigenschaft des Plakats erklärt sich nicht zuletzt durch die Zielgruppenansprache und die zuweilen aggressive Abgrenzung vom gegnerischen Lager.

 

*Hierbei handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung vom 4.3.2007. Für ergänzende Hinweise danke ich Dr. iur. Hans-Urs Wili, Abstimmungsverantwortlicher der Schweizerischen Bundeskanzlei.

Druckversion: Arnold, Judith (2007b): Das Abstimmungsplakat als Textsorte - Kontext und Merkmale eidgenössischer Abstimmungsplakate. Zürich, 18.02.2007: http://www.arsrhetorica.ch/Abstimmungsplakate-02.pdf

Der Artikel stützt sich auf die Ergebnisse der Forschungsarbeit: "Eidgenössische Abstimmungsplakate. Quantitative Inhaltsanalyse (1891–1990) und rhetorische Fallstudien"; eingereicht am 31. Juli 2005 am Deutschen Seminar der Universität Zürich. Wörtliche oder sinngemässe Übernahmen sind nur mit Quellenangaben gestattet.

 

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