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Topoi aus der Person zwischen Idealisierung, Karikierung und Stigmatisierung Judith Arnold, Zürich, den 13.03.2007
Ein persuasives Mittel im Meinungsstreit ist die positive Selbstdarstellung oder die negative Fremddarstellung. Dabei wird das eigene Ethos bestätigt und dasjenige des politischen Gegners untergraben. Indem sich der politische Akteur idealisiert, legt er seiner Zielgruppe die eigene politische Haltung nahe. Indem er aber den politischen Gegner abwertet, entzieht er ihm die Unterstützung des Wahl- bzw. Stimmvolks. Zur Auf- oder Abwertung einer Person können sämtliche persönlichen Eigenschaften und gesellschaftlichen Vorurteile herangezogen werden wie Wesensart, Charakter, physische Konstitution, Geschlecht, kognitive Fähigkeiten, ideologische Einstellung, soziale und geografische oder ethnische Herkunft, Lebenswandel und gesellschaftliche Stellung. Besonders kritisch ist der Einsatz der so genannten "personalen Figuren" (vgl. Ottmers 1996: 196f.), was schon in der Antike als schlechter Stil galt. Zu den personalen Figuren gehören u.a. Tadel (obiurgatio), Äusserungen des Zorns (iracundia), Verwünschungen (exsecratio) und die gezielte, oft auch verdeckt geführte Verletzung (laesio). Diese zielt meist auf tatsächliche oder vermeintliche Schwachstellen des politischen Gegners, wobei alle gesellschaftlichen Vorurteile herangezogen werden können. Dazu gehören auch die "Schreckbilder" (Ottmers 1996: 197), die auf dem negativen Autoritätstopos basieren. Auch die Spielarten der Ironie vom Witz bis zum Sarkasmus können dazu dienen, Personen und ihre politischen Überzeugungen zu demontieren (vgl. Ottmers 1996: 177ff.; zu politischen Feindbildern vgl. auch Blum 1995: 139ff.). Während sich der Topos aus der Person bei Wahlplakaten vorwiegend positiv auf den Kandidaten beziehen, richtet er sich bei Abstimmungsplakaten entweder an die Zielgruppe oder gegen den politischen Gegner. Mit einer positiven Identifikationsfigur wird dem Ethos des Adressaten geschmeichelt. Mit einem negativen Zerrbild hingegen wird das Ethos des politischen Gegners oder der gegnerischen Zielgruppe untergraben und so die positive Identifikationsmöglichkeit genommen. Die folgenden Plakate zeigen rechts einen Befürworter und links einen Gegner des Frauenstimmrechts. Das befürwortende Plakat stützt sich auf die geografische Herkunft ("wir Basler") und eine damit positiv konnotierte persönliche Charaktereigenschaft ("ritterlich"). Wer sich also mit dem positiven Ethos eines ritterlichen Baslers auszeichnen will, hat gar keine andere Wahl, als das Frauenstimmrecht anzunehmen. Dem "Frauenstimmrechtsgegner" hingegen werden negative Wesenszüge wie Trägheit (Fettleibigkeit) und Rückständigkeit (veraltete Sprache) unterstellt. Wer also etwas auf sein Ethos hält - so die implizite Argumentation - tut gut daran, sich von der politischen Position dieses negativen Autoritätstopos abzugrenzen.
Das Zerrbild der "Politikerin" und die Frage "Wollt Ihr solche Frauen?" richtet sich zunächst an das männliche Stimmvolk. Die rhetorische Frage mit Verweis auf das Resultat bei Annahme der Vorlage nimmt die abschlägige Antwort als Konklusion vorneweg. In zweiter Linie richtet sich das Plakat auch an Frauen, die auf die Idee kommen könnten, ihre politischen Bürgerrechte einzufordern. Für diesen Adressatenkreis lautet die Argumentation, dass Frauen, die nicht "so" werden wollen, sich besser von der Politik fernhalten. Auf der rechten Seite wird das Idealbild einer modernen Frau gezeigt, das ebenso auf Zuspruch stossen soll wie das Frauenstimmrecht. Der Text "Gleiche Pflichten - gleiche Rechte" argumentiert mit dem Topos aus der Gleichheit, der auch "Gerechtigkeitstopos" genannt wird. Demnach soll Gleichem auch Gleiches zustehen. Und da den Frauen bereits die gleichen Pflichten auferlegt sind, sollen ihnen - so der Analogieschluss - auch die gleichen Rechte zustehen.
Die Topoi aus der Person auf dem rechten Plakat bringt die fremdländische Herkunft mit "Kriminalität" in Verbindung, weshalb das sog. "Messerstecherplakat" eine Kontroverse ausgelöst hat. Bereits das historische Vorbild ist mit einer negativen Wertung behaftet: Es zeigt einen fremdländischen Mann mit Koffer auf den Schultern und Handgepäck, der auf den Durchgang in Form eines Schweizerkreuzes zugeht. Dieses ist zusätzlich mit einem Maschenzaun abgesperrt. Die symbolische Bildbotschaft besagt demnach, dass der einwanderungswillige "Gastarbeiter" von der Schweiz ferngehalten werden soll und die Demokratische Partei mit ihrem Wahlversprechen für einen "Stop der Überfremdung" einsteht.
Das Geschäft der Politiker ist die Beratung. Es ist daher nahe liegend, den politischen Gegner als schlechten Berater darzustellen (negativer Autoritätstopos). Im Plakat zur Vermögensabgabe wird der Stimmbürger von "rotem Blendwerk" in die Irre geführt - genauer: in den Abgrund. Dem Adressaten wird somit nahe gelegt, nicht dem "schlechten Rat" der linken Politiker zu folgen. Auf dem rechten Plakat wird dem politischen Gegner mutwilliges Verhalten unterstellt, indem die "roten Männer" (für Sozialisten) mit ihrer Vorlage zur Krisenbekämpfung mutwillig "eine Lawine lostreten". Die wirtschaftliche Situation - so die zugrunde liegende Argumentation - würde bei Annahme der Vorlage noch verschlechtert. Das suggeriert auch die Umbenennung des Begriffs "Kriseninitiative" der Befürworter in "Katastropheninitiative", womit zusätzlich expliziert wird, dass die Annahme der Vorlage in eine Katastrophe münden würde.
Eine Möglichkeit, das Stimmvolk von der Annahme (oder Ablehnung) einer Vorlage zu überzeugen, besteht darin, die Vertreter der Gegenposition lächerlich zu machen. Das zugrunde liegende Prinzip ist die Ironie, die auf Unähnlichkeit zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten beruht. Über die Vergleichsebene (tertium comparationis) wird bereits vorweggenommen, dass doch der Stimmbürger "keine Milchkuh" sei, die sich ausnehmen lässt (vgl. links) oder kein Narr (Allusio an "Münchhausen"), der sich lächerlich macht. Über die Ironie wird dem Stimmbürger nahe gelegt, sich vom Zerrbild abzugrenzen, indem er die Unähnlichkeit unter Beweis stellt und die gegenteilige Position einnimmt.
Literatur: Blum, Roger (1995): Kanonenschüsse, Hetztiraden und Schalmeienklänge. Vom kriegerischen zum zivilen Missbrauch der Massenmedien. In: Imhof, Kurt/ Schulz, Peter (Hrsg.): Medien und Krieg - Krieg in den Medien. (= Reihe Mediensymposium Luzern, Band 1). Zürich, S. 137-150. Meylan, Jean/ Maillard, Philippe/ Schenk, Michèle (1979): Bürger zu den Urnen. 75 Jahre eidgenössische Abstimmungen im Spiegel des Plakats. Lausanne. Nigg, Heinz (Hrsg.)(1999): Da und fort. Leben in zwei Welten. Zürich, Limmat Verlag. Ottmers, Clemens (1996): Rhetorik. Stuttgart, Weimar. Stirnimann, Charles/ Thalmann, Rolf (2001): Weltformat – Basler Zeitgeschichte im Plakat. (Ausstellung, Historisches Museum Basel, 20.01. bis 16.04.2001), Basel. |
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