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Semantische Stilfiguren
in Sprache
und Bild
Judith Arnold, Zürich, den
14.03.2007
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Abstimmungsplakate wollen überzeugen und
setzen daher persuasive Stilmittel ein wie die rhetorischen Stilfiguren. Diese lassen sich ebenso im Text wie im Bild wieder finden.
Bei den folgenden Beispielen handelt es sich um semantische Figuren,
die teils im Text und teils im Bild erkennbar sind.
Abstimmungs-Nr. 93 |
Datum:
3. Dez. 1922 |
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Gradatio
(oder Klimax): Das zuerst Genannte wird durch das jeweils
Folgende überboten (vgl. Ottmers 1996: 160)
Die Gradatio lässt sich sowohl im Text als auch
im Bild erkennen. Mit den Jahren sinkt der Mindestansatz für die
Vermögensabgabe. Diese wird metaphorisch als Spinne dargestellt,
die zuerst über den vermögenden Bürger, dann über den einfachen
Bürger und schliesslich über den Arbeiter herfällt.
Diese Steigerung in der Jahreszahl und der
Grösse der Spinne (Gradatio oder Klimax) beinhaltet auch eine
Verkleinerung (Antiklimax) im Status des Bürgers und der
Vermögensgrenze, die nach unten angepasst wird.
Da es sich um eine einmalige Steuerabgabe
handelt, könnte die Argumentation wie folgt lauten: Wenn jetzt
schon die reichen Leute zur Kasse gebeten werden, so werden in
ein paar Jahren auch die einfachen Bürger und Arbeiter eine
Vermögensabgabe leisten müssen. Darin enthalten ist der Topos
aus dem Mehr oder Minder (vgl. Ottmers 1996: 99).
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Grafik: Jules Courvoisier (Atar
SA, Genève) |
Titel:
Eidgenössische Volksinitiative 'für die Einmalige
Vermögensabgabe'
Resultat:
abgelehnt |
Quellen: Meylan/Maillard/Schenk
1979: 57 |
Sammlungen:
MfGZ 17-640 |
Abstimmungs-Nr. 151 |
Datum:
04. Juni 1950 |
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Oxymoron: Verbindung zweier
antithetischer Begriffe (vgl. Ottmers 1996: 194).
Im folgenden Beispiel befindet sich das Oxymoron
im Bild. Das Plakat zeigt die sozialen Stände des
vermögenden Bürgertums und der Arbeiter. Diese Stände sind
metaphorisch als Beine dargestellt. Nach Bonsiepe (1966: 37f.)
kann man hier von einer "Remetapher" reden: Der soziale Stand
wird auf seine wörtliche Bedeutung zurückgeführt. Die Bekleidung
gibt zudem Aufschluss, welcher soziale Stand gemeint ist:
Nadelstreifenanzug, Lackschuhe und Frack für den Bürger,
Arbeiterhose und -schuhe für den Arbeiter. Der Gegensatz dieser
sozialen Stände kann als Antithese begriffen werden. Durch die
Verschmelzung dieser Gegensätze in ein und derselben Figur
handelt es sich um die Spezialform des Oxymorons.
Die Figur selbst kann metonymisch für die
Finanzreform des Volkes gelten. Und wie der Text besagt, steht
die Finanzreform nur auf einem Bein, auf dem Arbeiterstand. Der
Bürgerstand lässt sich mittragen, wie das angewinkelte Bein
zeigt.
Der Argumentation liegt somit der Topos des
Vergleichs zugrunde (auch "Gerechtigkeitstopos" genannt): Die
Finanzreform steht nur auf einem Bein (Argument als rhetorische
Frage), und eine Finanzreform, die nur auf einem Bein steht, ist
ungerecht (Schlussregel); daher ist die Finanzreform abzulehnen
(Konklusion). |
Grafik:
René Gilsi
(Wolfensberger AG, Zürich) |
Titel:
Bundesbeschluss über die verfassungsmässige Neuordnung des
Finanzhaushaltes des Bundes
Resultat: abgelehnt |
Quellen: Meylan/Maillard/Schenk
1979: 62 |
Sammlungen:
MfGZ 13-561;
SfG
9395;
SNB o.S. |
Abstimmungs-Nr. 118 |
Datum:
11. März
1934 |
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Antithese: Gegensätzliche
Wörter, Wortgruppen oder (Teil-)Sätze oder ganze Textpassagen
sind einander gegenüber gestellt. Auf
Abstimmungsplakaten wird die Antithese oft im Bild dargestellt
in Form einer zeitlichen Gegenüberstellung "vorher/nachher".
Das Plakat zur sog. "Lex Häberlin II" hatte die
Einschränkung von politischen Kampagnen zum Gegenstand, da man
die Agitation der Arbeiterbewegung eindämmen wollte. Eine
Annahme der Vorlage hätte einen massiven Einschnitt in die
politischen Bürgerrechte bedeutet. Die Vorlage blieb aber wie
auch schon 1922 chancenlos. Der
antithetische Bildaufbau wird durch eine Diagonale geleistet,
die oben links eine chaotisch demonstrierende Menschenmenge
zeigt und unten rechts eine geordnete Volksversammlung. Die
Antithese, die als zeitliche Abfolge gelesen werden kann, zeigt
demnach einen Fortschritt bei Annahme der Vorlage.
Gleichzeitig befindet sich die Antithese auch im
Text:
GEGEN STRASSENGEWALT FÜR DEMOKRATISCHE ORDNUNG
Letztlich liegt ein pragmatisches Argument
zugrunde, wonach sich die chaotischen Verhältnisse bei Annahme
der Vorlage zum Besseren wenden würden. |
Grafik:
Emil Cardinaux
(Wolfsberg, Zürich) |
Titel:
Bundesgesetz über den Schutz der öffentlichen Ordnung
Resultat: abgelehnt |
Quellen: Meylan/Maillard/Schenk
1979: 48 (fr); Stirnimann/Thalmann 2001: 131 |
Sammlungen:
MfGZ 35-47;
SfG
7297 |
Literatur:
Bonsiepe, Gui (1966): Visuell/verbale Rhetorik. In: Ulm. Zeitschrift
der Hochschule für Gestaltung, 9. Jg. 1966, Nr. 14, S. 23–40.
Meylan, Jean/ Maillard, Philippe/ Schenk,
Michèle (1979): Bürger zu den Urnen. 75 Jahre eidgenössische
Abstimmungen im Spiegel des Plakats. Lausanne.
Ottmers, Clemens (1996): Rhetorik. Stuttgart, Weimar.
Stirnimann, Charles/ Thalmann, Rolf (2001): Weltformat
– Basler Zeitgeschichte im Plakat. (Ausstellung, Historisches Museum
Basel, 20.01. bis 16.04.2001), Basel.
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