Rede und Gegenrede

rhetorica contra rhetoricam

Judith Arnold, Zürich, den 11.03.2007

 

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Das Wechselspiel von Rede und Gegenrede kann eine kunstvolle Form annehmen, wenn die "rhetorischen Waffen" vom jeweils gegnerischen Lager übernommen und gegen den Urheber selbst gerichtet werden. Das kommt in allen Zeitperioden vor und lässt sich sowohl im Text als auch im Bild beobachten. Gleichzeitig ist diese Form des Dagegenhaltens (rhetorica contra rhetoricam) ein Beispiel dafür, dass die Rhetorik des Plakats zwar primär monologisch ist, aber durchaus dialogisch auf die kommunikative Situation Bezug nimmt und direkt auf Äusserungen des gegnerischen Lagers antworten kann (vgl. Ottmers 1996: 44, 69ff.).

Die folgenden beiden Abstimmungsplakate stehen unter dem Eindruck der sog. "Lex Häberlin", die aufgrund der "bolschewistischen Bedrohung" die politische Agitation strafrechtlich verfolgen wollte. Die Vorlage wurde mit hoher Stimmbeteiligung und schwachem Mehr verworfen. Während der Zeit der Nationalsozialisten in Deutschland erlangte die "Lex Häberlin" unter dem Druck der Frontenbewegung eine Wiederaufnahme, wurde jedoch erneut verworfen. Die Abstimmungsplakate 'für ein Verbot der Freimaurerei' stehen noch unter diesem Zeichen: Während das Plakat links hinter dem Geheimbund der Freimaurer eine "linke Unterwanderung" vermutet (vgl. die roten Attribute), kontert das Plakat rechts mit einem Stiefel der Frontenbewegung, der die Statue des Wilhelm Tell (und damit symbolisch die demokratischen Werte der Schweiz schlechthin) "vom Sockel stösst" (vgl. auch Blum 1995: 142, 143, 146).

Links und rechts: Eidgenössische Volksinitiative 'für ein Verbot der Freimaurerei' (abgelehnt).

Abstimmungs-Nr. 123 Datum: 28. Nov. 1937
Grafik: Noël Fontanet (Atar SA, Genève)
Quellen: Meylan/Maillard/Schenk 1979: 49;
Blum 1995: 142, 146
Sammlungen: MfGZ 10-948; SfG 7614; SNB o.S.
 
Abstimmungs-Nr. 123 Datum: 28. Nov. 1937
Grafik: Hugo Laubi (Gebr. Fretz AG, Zürich)
Quellen: Meylan/Maillard/Schenk 1979: 49
Blum 1995: 143, 146
Sammlungen: MfGZ 10-958; SfG 29816; SNB o.S.

 

Die folgenden Abstimmungsplakate haben die zweite "Lex Häberlin" zum Gegenstand; das linke stammt von linker, und das rechte von rechter Seite. Auch hier fällt typografisch und inhaltlich die Parallelität auf. Ein Bezug des rechten auf das linke Plakat ist zudem explizit über den Titel "Antwort auf ein anonymes Plakat" gegeben. Der Nachsatz "Wer steckt dahinter?" soll den Eindruck erwecken, dass hier klandestine Machenschaften am Werk sind, was dem politischen Gegner die Glaubwürdigkeit entziehen soll.

Links und rechts: Bundesgesetz über den Schutz der öffentlichen Ordnung (abgelehnt).

Abstimmungs-Nr. 118 Datum: 11. März 1934
Grafik: Impr. Populaires, Lausanne (Genossenschaftsdruckerei Zürich)
Quellen: Meylan/Maillard/Schenk 1979: 47
Sammlungen: MfGZ 26-220; SNB o.S.
 
Abstimmungs-Nr. 118 Datum: 11. März 1934
Grafik: (Fritz Pochon-Jent AG, Bern)
Quellen: n.n.
Sammlungen: MfGZ 23-697; SNB o.S.

 

Die folgenden Abstimmungsplakate beziehen sich auf den Ausbau des militärischen Vorkurses angesichts des Zweiten Weltkriegs. Interessant ist der Umstand, dass sich beide Plakate auf Heinrich Pestalozzi berufen (Topos aus der Autorität). Offenbar sind beide politischen Lager mit einem Zitat von Pestalozzi fündig geworden, das ihre Position stützt. Das erste Plakat wird durch das zweite übertroffen, indem das Vorhalten eines gegenteiligen Zitats dem politischen Gegner Inkonsistenz oder mangelnde Informiertheit unterstellt. Die Autorität selbst wird indessen kaum untergraben. Leider kann nicht eruiert werden, welches der beiden Plakate zuerst ausgehängt wurde. Es ist aber zu vermuten, dass zuerst die Gegner des militärischen Vorunterrichts die Idee hatten, den bekannten Pädagogen als Autorität zu zitieren, bevor sie von den Befürwortern "eines Besseren belehrt wurden".

Links und rechts: Bundesgesetz über die Abänderung der Art. 103 und 104 des Bundesgesetzes vom 12. April 1907 betreffend die Militärorganisation (Einführung des obligatorischen militärischen Vorunterrichts) (abgelehnt).
Abstimmungs-Nr. 133 Datum: 1. Dez. 1940
Grafik: unbekannt
Quellen: n.n.
Sammlungen: MfGZ 13-213
 
Abstimmungs-Nr. 133 Datum: 1. Dez. 1940
Grafik: J. Morier
Quellen: Meylan/Maillard/Schenk 1979: 40
Sammlungen: SNB o.Sign.

 

Der jahrzehntelange Kampf um die Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts wurde nicht zuletzt über die Rollenbilder geführt. Auf dem Abstimmungsplakat links sehen wir den Topos der Vermännlichung. Denn Politik ist - so die zugrunde liegende These - ein männliches Geschäft, und Frauen, die dennoch Politik betreiben, müssten zwangsläufig vermännlichen. Bei dieser Unvereinbarkeit, die sich als negative Beeinträchtigung auswirken kann, handelt es sich um den Topos aus dem relativen Gegensatz: Man ist entweder Mann oder Frau, aber offenbar gibt es auch noch (unerwünschte) Zwischenformen. En vogue ist aktuell die umgekehrte Argumentation, wonach Berufe mit (zu) vielen Frauen "verweiblichen" würden. Aber auch der "Spiessbürger" hat in der Debatte um das Frauenstimm- und -wahlrecht "sein Fett weggekriegt". Das Plakat rechts zeigt ein wenig schmeichelhaftes Bild eines Gegners der politischen Frauenrechte, womit den Adressaten die positive Identifikationsmöglichkeit genommen werden soll.

Links: Kantonale Abstimmung zum Frauenstimmrecht in Basel und Zürich (abgelehnt). Der Aushang dieses Plakats ist nur in Zürich belegt (vgl. Stirnimann/Thalmann 2001: 80).
Rechts: Kantonale Abstimmung zum Frauenstimmrecht in Basel (abgelehnt).
nicht eidg. (ZH, BS) Datum: 08. Feb. 1920
Grafik: Otto Baumberger (Wolfensberger AG, ZH)
Quellen: Meylan/Maillard/Schenk 1979: 18; Stirnimann/Thalmann 2001: 81
Sammlungen: MfGZ 50-79
 
nicht eidg. (BS) Datum: 15. Mai 1927
Grafik: Wilhelm Wenk (Wassermann AG, BS)
Quellen: Stirnimann/Thalmann 2001: 79
Sammlungen: MfGZ 39-693

 

Berüchtigt ist das sog. "Messerstecherplakat", das die Schweizerische Volkspartei anlässlich einer Initiative zur Verschärfung des Asylrechts gestalten liess. Es zeigt einen Mann mit den Zügen eines Mafioso, der sich durch die Schweizer Flagge reisst. Dieser Mann, der die Attribute (bzw. Ikonogramme) eines Kriminellen trägt, steht pars pro toto für Asylsuchende (Eco würde hier von einer Antonomasie reden 1972: 274f.; m.E. handelt es sich aber um eine Synekdoche). Die negativen Eigenschaften des Dargestellten werden somit verallgemeinernd auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe übertragen. Die zugrunde liegende Argumentation geht sowohl aus dem Bild als auch aus dem Text hervor: Demnach soll das Asylrecht verschärft werden, um den Asyl-Missbrauch durch Kriminelle zu stoppen. Das Einreissen der Flagge kann als "Sicherheitslücke" begriffen werden, da es Kriminellen mit dem gegenwärtigen Asylrecht offenbar zu einfach gemacht werde, in das Land zu dringen. Die Flagge steht damit symbolisch für die Schweiz bzw. die "Schweizer Grenze". Das Plakat rechts greift diese Ikonographie auf  und karikiert den damaligen SVP-Nationalrat und heutigen Bundesrat Christoph Blocher als "Neinsager".

Links und rechts: Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen im Asyl- und Ausländerbereich (BMA) (angenommen).
Abstimmungs-Nr. 455 Datum: 13. Juni 1999
Grafik: Hans-Rudolf Abächerli (Wolfensberger AG)
Quellen: Nigg 1999: 242; Stirnimann/Thalmann 2001: 163
Sammlungen: MfGZ 14-0216
 
Abstimmungs-Nr. 455 Datum: 13. Juni 1999
Grafik: unbekannt
Quellen: n.n.
Sammlungen: MfGZ K-0026

 

Kontroversen ausgelöst hat ein Plakat der Stadt-Zürcher SVP, das anlässlich einer Abstimmung über den Kredit von Fr. 50'000.- für ein Kontaktnetz für Kosovo-Albaner geschaltet wurde.

nicht eidg. (Stadt Zürich)  Datum: 7. Juni 1998  

Durch die Hintergrundfarben zerfällt das Plakat in zwei Texteinheiten: "Kontaktnetz für KOSOVO-ALBANER" und "NEIN"

Durch die kleine Schrift tritt der Text "Kontaktnetz für" in den Hintergrund. Dieser optische Eindruck wird noch verstärkt durch die Farbgebung, wodurch die dünne schwarze Schrift im weissen Balken - zumal auf Distanz - an Kontrast und Leserlichkeit verliert.

Entgegen der syntaktischen Abfolge der Texteinheiten bilden sich aufgrund der optischen Wahrnehmung die semantischen Zusammenhänge neu zur Aussage: "KOSOVO-ALBANER NEIN", womit sich die Ablehnung nicht auf das Kontaktnetz (oder auf den zu sprechenden Kredit), sondern auf die Bevölkerungsgruppe der Kosovo-Albaner selbst bezieht.

Rhetorisch betrachtet handelt es sich um eine obscuritas, eine Verdunkelung des Ausdrucks.

Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) ist zu einem anderen Urteil gelangt:
http://www.edi-ekr.admin.ch/php/idetails.php?id=2002-30

Grafik: anonym

Resultat: Der Kredit von Fr. 50'000.-- für ein Kontaktnetz für Kosovo-Albaner in der Stadt Zürich wurde abgelehnt.

Quellen: Nigg 1999: 264; Bärtsch 2005: 108
Sammlungen: MfGZ 73-0275

 

Auch in diesem Fall wurde das ethisch umstrittene Plakat mit den gleichen Mitteln gekontert.

kein Abstimmungsplakat Datum: 1998
Grafik: Däni Sulzer
Quellen: n.n.
Sammlungen: MfGZ 73-0053
 

Literatur:

Bärtsch, Christine (2005): Das Verhältnis der Schweiz zu Europa und zur Europäischen
Union. Dissertation, eingereicht an der Universität Zürich.

Blum, Roger (1995): Kanonenschüsse, Hetztiraden und Schalmeienklänge. Vom kriegerischen zum zivilen Missbrauch der Massenmedien. In: Imhof, Kurt/ Schulz, Peter (Hrsg.): Medien und Krieg - Krieg in den Medien. (= Reihe Mediensymposium Luzern, Band 1). Zürich, S. 137-150.

Meylan, Jean/ Maillard, Philippe/ Schenk, Michèle (1979): Bürger zu den Urnen. 75 Jahre eidgenössische Abstimmungen im Spiegel des Plakats. Lausanne.

Nigg, Heinz (Hrsg.)(1999): Da und fort. Leben in zwei Welten. Zürich, Limmat Verlag.

Ottmers, Clemens (1996): Rhetorik. Stuttgart, Weimar.

Stirnimann, Charles/ Thalmann, Rolf (2001): Weltformat – Basler Zeitgeschichte im Plakat. (Ausstellung, Historisches Museum Basel, 20.01. bis 16.04.2001), Basel.

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