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Fotografische Abstimmungsplakate als Augenzeugen Judith Arnold, Zürich, den 20.03.2007
Die Fotografie hat einen dokumentarischen Charakter. Oder anders gesagt: Was fotografisch festgehalten wurde, muss vorhanden (gewesen) sein (vgl. "l'avoir-été-là" bei Barthes 1964: 47). Gleichzeitig ist die Fotografie als analoges Abbild scheinbar frei von Konnotationen: Die Fotografie ist nach Barthes (1990) ein Bild ohne Code: "das Fehlen eines Codes desintellektualisiert die Botschaft, weil dadurch die Zeichen der Kultur als natürlich erscheinen" (1990: 40). Denn während bspw. eine Zeichnung die "Machart" immer mitkommuniziert, steht die Fotografie zum Dargestellten in einer Beziehung der "Aufzeichnung", wobei das Fehlen eines Codes den Mythos der fotografischen Natürlichkeit verstärkt (vgl. Barthes 38f.). Die Szene ist mechanisch eingefangen, scheinbar ohne Zutun des Menschen: "das Mechanische ist hier ein Unterpfand für Objektivität" (Barthes 1990: 39). Mehr noch: "das utopischerweise seiner Konnotationen entledigte Bild würde von Grund auf objektiv, das heisst letzten Endes unschuldig werden" (Barthes 1990: 37f.). "Besonders die Fotografie verdeckt also gerade durch den Schein des Objektiven ihre manipulativen Aspekte" (Sachs-Hombach/Schirra 1999: 33). Allerdings greift der Mensch auch bei der Erstellung einer Fotografie gestalterisch ein durch "Bildeinstellung, Entfernung, Licht, Unschärfe, Verfliessen usw." (Barthes 1990: 39), wobei diese Eingriffe allesamt der Konnotationsebene angehören (ebd.). Dennoch wird das fotografische Bild als Illusion erlebt, "denn in jeder Fotografie steckt die stets verblüffende Evidenz: So war es also" (ebd. Hervorheb. i.O.). Diese Eigenschaft der Fotografie lässt sich insbesondere für die Werbung überzeugend einsetzen, und somit auch für politische Kampagnen: "Das denotierte Bild naturalisiert die symbolische Botschaft, es lässt den (vor allem in der Werbung) sehr differenzierten semantischen Trick der Konnotation unschuldig erscheinen (...). Die Natur scheint spontan die dargestellte Szene hervorzubringen; an die Stelle der einfachen Gültigkeit der offenen semantischen Systeme tritt verstohlen eine Pseudowahrheit" (Barthes 1990: 40). Deshalb kann die Fotografie als illustratives Beispiel eine politische Argumentation stützen (vgl. Ottmers 1996: 84f.) oder aufgrund ihrer vermeintlichen Beweiskraft auch als ausserrhetorischer Beweis angeführt werden (probationes inartificiales, vgl. Ottmers 1996: 58). In diesem Fall würde man von einer Indizienargumentation sprechen: "Bei der Indizienargumentation wird aus einem 'Zeichen' [...], also aus etwas faktisch Vorliegendem, auf das davon Bezeichnete geschlossen" (Ottmers 1996: 85).
Nicht nur die Folgen, auch die Ursachen können in der Fotografie quasi dokumentarisch vorgeführt werden. Erst kürzlich hat ein Inserat der SVP für Diskussionen gesorgt, weil es einen farbigen Rapper mit dem Anstieg der ausländischen Jugendkriminalität in Zusammenhang bringt. Der Rapper als Repräsentant einer bestimmten Jugendkultur wird somit für die gestiegene Jugendkriminalität verantwortlich gemacht. Gleichwohl hat dieses Bild eher illustrativen Charakter, da die Argumentation überwiegend im Text geführt wird und als Konklusion die Wahl der SVP in den Kantonsrat nahe legt.
Literatur: Barthes, Roland (1990): Rhetorik des Bildes. In: Barthes, Roland: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III. Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Erste Auflage 1990, Frankfurt am Main, S. 28–46. Barthes, Roland (1964): Rhétorique de l’image. In: Communications 4, S. 40–51. Ottmers, Clemens (1996): Rhetorik. Stuttgart, Weimar. Sachs-Hombach, Klaus/ Schirra, Jörg R. (1999): Zur politischen Instrumentalisierbarkeit bildhafter Repräsentationen. Philosophische und psychologische Aspekte der Bildkommunikation. In: Hofmann, Wilhelm (Hrsg.): Die Sichtbarkeit der Macht. Theoretische und empirische Untersuchungen zur visuellen Politik. Baden-Baden, S. 28–39. Sontag, Susan (2004): Über Fotografie. 16. Auflage, Frankfurt am Main (zuerst 1977: On Photography. New York.).
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