4 Anhang: Topik
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Die folgende Übersicht der
Argumentationsschemata (Topoi) folgt den Ausführungen bei Ottmers (1996:
86–116), der sich an Kienpointer (1992) orientiert. Dabei werden die
Topoi in alltagslogische und in konventionalisierte Schlussregeln (SR)
unterteilt.
4.1
Topoi mit alltagslogischen Schlussregeln
Die alltagslogischen Topoi werden in der
enthymematischen Argumentation eingesetzt. Ottmers (1996) unterscheidet
fünf Unterklassen: die Kausalschlüsse, die Vergleichsschlüsse, die
Gegensatzschlüsse und die Einordnungsschlüsse (vgl. S. 93–109).
4.1.1 Kausalschlüsse
Bei den Kausalschlüssen werden
Kausalrelationen als Schlussregeln eingesetzt, wobei die positiven oder
negativen Folgen einer Handlung dargelegt werden, um die eigene Position
zu bekräftigen oder die Position der Gegenpartei zu widerlegen. Sie
lassen sich unterteilen nach Ursache und Wirkung, Grund und Folge sowie
Mittel und Zweck. Während die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung
z.B. über Naturgesetze vermittelt ist, handelt es sich bei der Beziehung
zwischen Grund und Folge um eine durch menschliches Handeln beeinflusste
Kausalität (vgl. Kienpointer 1992: 344).
Topos aus Ursache und Wirkung
(1) Wenn eine bestimmte Ursache vorliegt, tritt eine damit gekoppelte
Wirkung auf.
(2) Wenn eine Ursache nicht vorliegt, dann tritt auch keine Wirkung auf.
(3) Wenn bestimmte Wirkungen vorliegen, dann ist eine damit gekoppelte
Ursache vorher aufgetreten.
(4) Wenn eine Wirkung nicht vorliegt, dann ist auch keine Ursache vorher
aufgetreten.
(Ottmers 1996: 94; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 182–184)
Topos aus Grund und Folge
(5) Wenn eine Person ein Handlungsziel nur durch bestimmte Handlungen
erreichen kann, dann wird sie diese Handlungen ausführen.
(6) Wenn eine Person ein Ziel durch bestimmte Handlungen nicht erreichen
kann, dann wird sie diese Handlungen nicht ausführen.
(7) Wenn eine Person eine bestimmte Handlung ausführt, dann hat sie
dafür vermutlich ein bestimmtes Motiv.
(8) Wenn eine Handlung nicht vorliegt, dann liegt auch ein Motiv dafür
nicht vor.
(9) Wenn eine Person eine bestimmte Handlung vollzieht, dann treten
entsprechende Folgen auf.
(10) Wenn eine Person eine bestimmte Handlung nicht vollzieht, dann
treten auch die entsprechenden Folgen nicht auf.
(11) Wenn die Folgen einer bestimmten Handlung vorliegen, dann muss
diese Handlung ausgeführt worden sein.
(12) Wenn die Folgen einer bestimmten Handlung nicht vorliegen, dann ist
diese Handlung auch nicht ausgeführt worden.
(Ottmers 1996: 95f.; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 184–186)
Topos aus Mittel und Zweck
(13) Wenn ein Ziel positiv bewertet wird, dann können unter Umständen
auch weniger positiv zu bewertende Mittel zur Erreichung dieses Zieles
akzeptiert werden. (Ottmers 1996: 97; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002:
186–188)
4.1.2
Vergleichsschlüsse
Bei den Vergleichsschlüssen werden
verschiedene Grössen miteinander verglichen, wobei sich drei
Unterklassen unterscheiden lassen: der Topos aus der Gleichheit (auch
Gerechtigkeitstopos genannt), der Topos aus der Verschiedenheit und der
Topos aus dem Mehr oder Minder (vgl. Ottmers 1996: 97f.).
Topos aus der Gleichheit oder grossen
Ähnlichkeit
(14) Von gleichen oder sehr ähnlichen Dingen wird auf gleiche oder sehr
ähnliche Eigenschaften geschlossen.
(15) Von gleichen oder sehr ähnlichen Dingen wird auf gleiche oder sehr
ähnliche Behandlung oder Bewertung geschlossen.
(Ottmers 1996: 98; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 190f.)
Topos aus der Verschiedenheit oder
geringen Ähnlichkeit
(16) Von verschiedenen oder ziemlich unähnlichen Dingen wird auf
unterschiedliche Eigenschaften geschlossen.
(17) Von verschiedenen oder ziemlich unähnlichen Dingen wird auf ihre
unterschiedliche Behandlung oder Bewertung geschlossen. (Ottmers 1996:
99; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 191f.)
Topos aus dem Mehr oder Minder
(18) Wenn sogar der wahrscheinliche Fall nicht eintritt, dann wird der
minder wahrscheinliche Fall erst recht nicht eintreten.
(19) Wenn sogar der minder wahrscheinliche Fall eintritt, dann wird der
mehr wahrscheinliche Fall erst recht eintreten.
(20) Wenn der ohnehin wahrscheinliche Fall eintritt, dann wird der noch
wahrscheinlichere Fall erst recht eintreten.
(21) Wenn der ohnehin wenig wahrscheinliche Fall [nicht] eintritt, dann
wird der noch weniger wahrscheinliche Fall erst recht nicht eintreten.
(Ottmers 1996: 99; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 192–194)
4.1.3 Gegensatzschlüsse
Bei Gegensatzschlüssen basieren die
Schlussregeln auf Gegensätzen, wobei sich nach der Qualität der
Gegensätze vier Unterklassen unterscheiden lassen: der Topos aus
absoluten Gegensätzen, der Topos aus relativen Gegensätzen, der Topos
aus alternativen Gegensätzen und der Topos aus semantisch unvereinbaren
Gegensätzen (vgl. Ottmers 1996: 100).
Topos aus absoluten Gegensätzen
(22) Wenn eine Sache oder eine Person eine bestimmte Eigenschaft
aufweist, dann können sie nicht zur gleichen Zeit eine dazu
widersprüchliche Eigenschaft aufweisen.
(23) Wenn eine Sache oder eine Person eine bestimmte Eigenschaft nicht
aufweist, dann können sie nicht zur gleichen Zeit eine dazu
widersprüchliche Eigenschaft aufweisen.
(Ottmers 1996: 101; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 195)
Topos aus relativen Gegensätzen
(24) Wenn eine Sache oder eine Person eine bestimmte relativ
gegensätzliche Eigenschaft gegenüber einer anderen Sache oder Person
aufweist, dann kann sie nicht zur gleichen Zeit eine dem
entgegengesetzte relativ gegensätzliche Eigenschaft aufweisen.
(25) Wenn eine Sache oder eine Person eine bestimmte relativ
gegensätzliche Eigenschaft gegenüber einer anderen Sache oder Person
nicht aufweist, dann kann sie nicht zur gleichen Zeit eine dem
entgegengesetzte relativ gegensätzliche Eigenschaft aufweisen.
(Ottmers 1996: 102; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 195f.)
Topos aus alternativen Gegensätzen
(26) Wenn entweder X oder das Gegensätzliche von X der Fall ist, dann
ist es wahrscheinlich, dass X der Fall ist.
(27) Wenn entweder X oder das Gegensätzliche von X der Fall ist, dann
ist es wahrscheinlich, dass das Gegensätzliche von X der Fall ist.
(28) Wenn entweder X ist oder das Gegensätzliche von X der Fall ist,
dann ist es unwahrscheinlich, dass X der Fall ist.
(29) Wenn entweder X ist oder das Gegensätzliche von X der Fall ist,
dann ist es unwahrscheinlich, dass das Gegensätzliche von X der Fall
ist.
(Ottmers 1996: 103f.; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 197)
Topos aus semantisch unvereinbaren
Gegensätzen
(30) Wenn eine Sache oder eine Person eine bestimmte Eigenschaft
besitzt, dann können sie nicht zur gleichen Zeit eine semantisch damit
gänzlich unvereinbare Eigenschaft aufweisen.
(Ottmers 1996: 105; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 197f.)
4.1.4
Einordnungsschlüsse
Die Einordnungsschlüsse beruhen auf
Verfahren, die Relationen zwischen Sachverhalten herstellen. Je nach
Relation lassen sich drei Unterklassen unterscheiden: der Topos aus den
Teilen und dem Ganzen, der Topos aus der Spezies und der Gattung und der
Topos aus der Definition (vgl. Ottmers 1996: 105).
Topos aus den Teilen und dem Ganzen
(31) Was vom Ganzen ausgesagt wird, wird auch von dessen Teilen
ausgesagt.
(32) Wenn eine Aussage für das Ganze Gültigkeit besitzt, ist sie auch
für seine Teile gültig.
(33) Was von den Teilen ausgesagt wird, gilt auch für das Ganze.
(34) Wenn eine Aussage für die Teile Gütigkeit besitzt, ist sie auch für
das Ganze gültig.
(35) Für ein Werturteil ist das Ganze wichtiger als die Teile.
(36) Was die Gesamtheit (die Mehrheit) tut, das sollte man selbst auch
tun.
(Ottmers 1996: 105f.; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 178–182)
Topos aus der Spezies und der Gattung
(37) Was von der Spezies gesagt wird, gilt auch für die Gattung.
(38) Wenn eine Aussage über die Spezies Gültigkeit besitzt, dann ist sie
auch für die Gattung gültig.
(39) Was für das Genus verneint wird, wird auch für die Spezies
verneint.
(40) Wenn eine Aussage über die Gattung keine Gültigkeit besitzt, dann
ist sie auch für die Spezies ungültig.
(Ottmers 1996: 107; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 176–178)
Topos aus der Definition
(41) Was über die Definition ausgesagt wird, wird auch für das von ihr
Definierte ausgesagt.
(42) Was über das Definierte ausgesagt wird, gilt auch für die
Definition.
(Ottmers 1996: 108; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 171–176)
4.1.5 Topos aus dem Beispiel
Die Beispielargumentation geht nicht deduktiv, sondern induktiv vor: Es
werden keine bereits gebräuchlichen Schlussregeln benützt, um einen
Schluss abzuleiten, sondern es werden mittels Beispielen, die
Regelmässigkeiten beobachten lassen, für das Schlussverfahren neue
Schlussregeln etabliert (vgl. Ottmers ebd. S. 82ff., S. 109).
(43) Wenn in einem oder mehreren
Beispielen einer Sache oder einer Person bestimmte Eigenschaften
zukommen, dann wird daraus abgeleitet, dass dieser Sache oder dieser
Person diese bestimmten Eigenschaften generell zukommen.
(vgl. Ottmers 1996: 109; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 198–202)
4.2 Topoi mit
konventionalisierten Schlussregeln
Die Schlussverfahren mit
konventionalisierten Schlussregeln basieren auf gesellschaftlich
akzeptierten Mustern des Begründens. Damit gehören sie zu den
kontextrelevanten Topoi, deren Schlussregeln keine Aussagekraft an sich
besitzen, sondern ihre Schlusskraft durch die Inhalte gewinnen. Die
konventionelle Festlegung von Schlussregeln ist an des Meinungs- und
Erfahrungswissen einer Gesellschaft gebunden und somit auch dem
gesellschaftlichen Wandel unterworfen (vgl. Ottmers 1996: 109f.).
4.2.1 Topos aus der Autorität
(44) Wenn eine als Autorität anerkannte Person eine Meinung vertritt,
dann erscheint diese Meinung plausibel.
(Ottmers 1996: 110; vgl. auch Kolmer/Rob-Santer 2002: 202–204)
4.2.2 Topos aus der Analogie
(45) Wenn eine Sache oder eine Person in einem bestimmten Verhältnis zu
einer anderen Sache oder Person steht, dann ist dieses Verhältnis auf
andere Relationen zwischen Sachen und Personen übertragbar, wenn
Ähnlichkeiten zwischen beiden Relationen bestehen.
(Ottmers 1996: 113)
4.2.3 Topoi aus der Person
(46) Wenn eine Person bestimmte Eigenschaften, Verhaltens- oder
Handlungsweisen an den Tag legt, dann sind daraus (mit mehr oder weniger
grosser Wahrscheinlichkeit) andere Eigenschaften, Verhaltensweisen oder
Handlungen dieser Person ableitbar.
(Ottmers 1996: 115)
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